Lächelnd schlenderte Ismail Hanija am Dienstagabend in einem Teheraner Park durch eine Ausstellung über die „Achse des Widerstands“, einer Allianz von Staaten und Milizen gegen Israel. Der 62-jährige Hamas-Auslandschef war zur Amtseinführung des iranischen Präsidenten Massud Peseschkian angereist und hatte im Laufe des Tages in Teheran mit Peseschkian und Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei gesprochen. Kurz darauf war er tot. Um 2.00 Uhr morgens Ortszeit wurde Hanija nach iranischen Angaben „von einem Gegenstand aus der Luft“ tödlich getroffen. Die genauen Umstände seines Todes sind noch unklar.
Hanija übernachtete in einem Wohnheim für iranische Kriegsveteranen im Norden der iranischen Hauptstadt. Einer seiner Leibwächter kam bei dem Anschlag ebenfalls ums Leben. Zwar hat sich Israel bislang nicht zu der Tötung bekannt, doch es gibt in der Region kein anderes Land, das sowohl die militärische Schlagkraft, die Geheimdienstinformationen als auch die entsprechende Motivation für einen solchen Anschlag hätte. Nur Stunden zuvor hatte Israels Armee nach eigenen Angaben auch den ranghöchsten Militärkommandeur der Hisbollah im Libanon, Fuad Schukr, getötet. Zwei der einflussreichsten Männer in deren Kampf gegen Israel sind demnach ausgeschaltet. Bald zehn Monate nach Ausbruch des Gaza-Krieges nimmt der Konflikt zwischen Tel Aviv und seinen islamistischen Gegnern damit eine weitere dramatische Fortsetzung.
Angriff auf Teheran ist eine politische Botschaft
„Es war seit dem 7. Oktober 2023 klar, dass es eines der Kriegsziele von Israel ist, sowohl die politische als auch die militärische Führung der Hamas auszuschalten“, sagt Stephan Stetter, Nahost-Experte an der Universität der Bundeswehr in München. „Dass Ismail Hanija persönlich gefährdet ist, das war ihm und auch der Hamas bewusst.“ Das Spektakuläre an seinem Tod sei, dass er in Teheran herbeigeführt worden ist – und das auch noch im Kontext der Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten. Für die Mullahs eine schwere Demütigung. Hinter dem Vorgehen stehe also zum einen eine politische Botschaft, zum anderen sei es aber auch Zwängen geschuldet: „Israel konnte Hanija nicht an seinen anderen Aufenthaltsorten wie der Türkei oder Katar treffen“, sagt Stetter. „Katar ist ein Verbündeter der USA, die Türkei ist sogar Nato-Mitglied.“
Die iranische Führung schwor gleichwohl Rache. Revolutionsführer Chamenei, der mächtigste Mann im Iran, kündigte eine „schwere Bestrafung“ Israels an. Teheran betrachte die Vergeltung der Tat „als unsere Pflicht“. Zumal Hanija „geschätzter Gast in unserem Haus“ gewesen sei. Das „terroristische Besatzungsregime“ in Israel werde seine Tat bereuen, erklärte Präsident Peseschkian.
Selbst Moskau warnt vor einer Eskalation
Weder die politische Führung noch die Revolutionsgarde äußerten sich zum offensichtlichen Versagen des iranischen Sicherheitsapparates. Israel wusste offenbar nicht nur, wo Hanija in Teheran wohnte, seine Luftwaffe konnte auch ohne erkennbare Probleme die iranische Flugabwehr überwinden. Der Anschlag auf Hanijeh zeige, wie gut Israel über Interna der iranischen Sicherheitskräfte informiert sei, sagte der Iran-Experte Arash Azizi on der Clemont-Universität in den USA unserer Redaktion. Für Peseschkian, Chamenei und andere Mitglieder der Führung stelle sich nach dem Mordanschlag auf den Staatsgast die Frage, wie sicher sie selbst sind.
Hinzu komme, so Nahost-Experte Stetter, dass Warnungen selbst vom Verbündeten aus Moskau kommen und der Iran seine nächsten Schritte genau abwägen müsse. Der Kreml verurteilte den Angriff in Teheran zwar, mahnte aber auch, der Konflikt dürfe nicht ausgeweitet werden. „Die Sorge Russlands dürfte sein, dass das Kartenhaus seiner Verbündeten zusammenfällt“, sagt Stetter. „Russland braucht den Iran und ein Krieg, der Teheran schwächt, wäre für Russlands Außenpolitik ein Desaster.“ Die iranische Revolutionsgarde und die Hisbollah haben zwar hunderttausende Raketen in ihren Arsenalen, die mit einem koordinierten Großangriff selbst das moderne Abwehrsystem Israels überfordern könnten. Doch der dann zu erwartende Gegenschlag auf den Iran könnte das Ende des theokratischen Regimes in Teheran bedeuten, das wegen des Unmuts vieler Iraner über das System ohnehin geschwächt ist. Das Überleben der Islamischen Republik hat für Chamenei höchste Priorität.
In Israel wiederum dürften vor allem die Äußerungen von US-Außenminister Antony Blinken Gehör finden. Die USA hätten von der Tötung Hanijas nichts gewusst und sie seien auch nicht beteiligt gewesen, betonte er. „Eines der Dinge, auf die wir uns konzentriert haben, ist sicherzustellen, dass sich der Konflikt (...) nicht ausbreitet, nicht auf andere Orte übergreift, nicht eskaliert, und das werden wir auch weiterhin tun“, fügte er hinzu. Washington stellt damit klar, so Stetter, wo die eigenen Prioritäten liegen: „Die zwei überragenden Ziele sind, politische Perspektiven für die Region zu formulieren, die langfristigen amerikanischen Interessen dienen – aber auch die Kandidatur von Kamala Harris nicht von einem weiteren Krieg überschatten zu lassen“, sagt der Experte.
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