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Krieg in Nah-Ost: Nach Anschlag mit zwölf toten Kindern: Der Schmerz der Drusen

Krieg in Nah-Ost

Nach Anschlag mit zwölf toten Kindern: Der Schmerz der Drusen

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    Angehörige der drusischen Minderheit trauern bei der Beerdigung ihrer Angehörigen in den israelisch kontrollierten Golanhöhen.
    Angehörige der drusischen Minderheit trauern bei der Beerdigung ihrer Angehörigen in den israelisch kontrollierten Golanhöhen. Foto: Ilia Yefimovich, dpa

    Es sind zwei Videos, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Beide stammen aus dem drusischen Dorf Majdal Shams, jenem Ort, an dem eine Rakete am Samstag zwölf Kinder in den Tod gerissen hat. Eines der Videos stammt vom israelischen Kanal 14, der der rechten israelischen Regierung nahesteht, und zeigt einen drusischen Mann, der die Faust schüttelnd brüllt: „Bibi, wir vertrauen dir!“ „Bibi“ ist der Spitzname des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. „Netanjahu, du und dein Armeechef und dein Sicherheitskabinett, ihr müsst den Libanon in Brand stecken!“ Auf dem zweiten Video ist Israels ultrarechter Finanzminister Bezalel Smotrich zu sehen, der in Majdal Shams vor einer aufgebrachten Menge drusischer Männer flüchtet. „Verschwinde von hier, sofort!“, ruft einer von ihnen. „Du bist Müll!“

    Die Videos werden in den sozialen Medien von verschiedenen politischen Lagern verbreitet: Die eine Seite will zeigen, dass die Drusen aus Majdal Shams hinter Israels Regierung stehen; die andere will beweisen, wie sehr sie die Regierung hassen. Die Wahrheit ist, wie immer im Nahen Osten, komplizierter.

    Drusen sind eine kleine Religionsgemeinschaft

    Denn die Religionsgemeinschaft der Drusen ist zwar klein, aber nicht homogen. Weltweit umfasst sie ein bis zwei Millionen Menschen, die meisten von ihnen leben in Syrien und im Libanon, weitere 140.000 in Israel. Die Ursprünge ihrer Religion liegen im Ägypten des 11. Jahrhunderts: Dort gründete ein schiitischer Muslim eine neue Glaubensgemeinde, deren Inhalte bis heute vor Außenstehenden geheimgehalten werden. Bekannt ist, dass es sich um einen monotheistischen Glauben handelt, beeinflusst von den abrahamitischen Religionen und griechischer Philosophie. Zu den Traditionen der Drusen zählt ferner Loyalität mit der politischen Führung des Landes, in dem sie leben. Männliche Drusen im israelischen Kernland dienen deshalb in der israelischen Armee.

    Für die rund 25.000 Drusen auf dem Golan gilt das nicht. Israel hat das Gebiet im Sechs-Tage-Kriegs im Jahr 1967 von Syrien erobert und 1981 annektiert, die internationale Gemeinschaft betrachtet es noch immer als besetzt. So sehen es auch viele der dort lebenden Drusen: Die meisten von ihnen lehnen es ab, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen, und identifizieren sich weiterhin als Syrer. Zur Wahrheit gehört aber auch: In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Drusen auf dem Golan, die die israelische Staatsbürgerschaft beantragen, offiziellen Angaben zufolge deutlich zugenommen. Viele von ihnen kennen Syrien nur noch aus den Erzählungen ihrer Eltern, zudem vereinfacht ein israelischer Pass vieles.

    Die komplizierte Identität der Drusen in Majdal Shams dürfte erklären, warum die Hisbollah jede Verantwortung für den tödlichen Raketeneinschlag von sich weist: Dass ausgerechnet Araber auf ihre arabischen Brüder und Schwestern gezielt haben, passt nicht ins eigene Selbstverständnis. Ihre Anhänger verbreiten die Theorie, eine Abfangrakete des israelischen Luftabwehrsystems Iron Dome sei in das Fußballfeld in Majdal Shams eingeschlagen. Militärexperten halten das für abwegig. Es mehren sich die Zeichen, dass die Hisbollah den von Drusen bewohnten Ort womöglich versehentlich traf. Und doch zieht die israelische Armee eine klare Schlussfolgerung: Es gilt als sicher, dass sie zurückschlagen wird.

    Eskaliert nun der Konflikt mit der Hisbollah?

    US-Diplomaten bemühen sich eilig, die Lage halbwegs zu stabilisieren. Ein Kommentator der Zeitung Israel Hajom schrieb, das Dilemma sei für Israels Armee nun, den gewünschten Effekt zu erzielen, ohne eine gefährliche Dynamik zu schaffen, in der die Lage in einen Krieg in vollem Umfang eskaliere. Eine solche Entwicklung könne zu einem neuen Konflikt mit dem Iran und seinen Helfershelfer in der Region führen, erklärte er, darunter Milizen in Syrien, im Irak und im Jemen. Dies könne sich wiederum negativ auf Israels Ziele im Gaza-Krieg und die Bemühungen um eine Freilassung der mehr als 100 Geiseln im Gazastreifen auswirken. Es wird befürchtet, dass viele schon tot sein dürften. Die ohnehin stockenden Gespräche über einen Geiseldeal könnten bei einem neuen Krieg mit der Hisbollah ganz zusammenbrechen.

    Der israelische Ex-Militärgeheimdienstchef Tamir Hayman schrieb, die Hisbollah habe mit dem Angriff auf dem Golan einen schweren Fehler begangen. „Kindern Schaden zuzufügen, vor allem Drusen auf den Golanhöhen, stellt sie im Libanon in ein negatives Licht“, erklärte der Leiter der Denkfabrik INSS. „Dies zusätzlich zu der Wut vieler Libanesen darüber, dass das Land in einen Krieg gegen Israel schlittert, der für sie völlig überflüssig ist.“ Vor diesem Hintergrund könne Israel es sich erlauben, mit einer Reaktion etwas abzuwarten. „Die Zeit arbeitet für uns. Es ist besser, die Hisbollah etwas im eigenen Saft schmoren zu lassen.“ (mit dpa)

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