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Krieg im Nahen Osten: Der Nervenkrimi um die Geiseln des Hamas-Terrors

Krieg im Nahen Osten

Der Nervenkrimi um die Geiseln des Hamas-Terrors

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    Israelis warten vor einem Krankenhaus auf die Ankunft der von der islamistischen Hamas-Bewegung freigelassenen Geiseln.
    Israelis warten vor einem Krankenhaus auf die Ankunft der von der islamistischen Hamas-Bewegung freigelassenen Geiseln. Foto: Ilia Yefimovich, dpa

    Es war der Moment, auf den viele Menschen nicht nur in Israel gewartet hatten. Gleich zwei Geiselgruppen wurden am Freitagnachmittag von der Hamas in die Freiheit entlassen: 12 Menschen thailändischer Herkunft und 13 Israelis. Lange wurde geheim gehalten, wer die Personen sind, die den Grenzübergang Rafah zwischen Gaza und Ägypten überschreiten und auf der anderen Seite von israelischen Offiziellen in Empfang genommen werden konnten. Selbst ihre Familien wussten im Vorfeld nichts: Um womöglich falsche Hoffnungen zu vermeiden, wurden die Angehörigen erst informiert, nachdem die Identität der Befreiten festgestellt wurde. „Wir sind froh und bewegt darüber, dass es eine Einigung gibt“, sagt Liri Romann, Bruder der 35-jährigen entführten Yarden, schon vorher am Telefon. „Wir denken, dass Israel die richtige Entscheidung getroffen hat. " Ob auch Yarden Teil des Deals war, blieb unklar. Er hoffe aber, dass das Abkommen zu weiteren Freilassungen führen könnte. „Und wir glauben, dass es Yarden stärken wird, zu sehen, dass Geiseln freikommen.“

    Die Befreiten wurden in Israel zunächst auf verschiedene Krankenhäuser aufgeteilt, die Sonderbereiche für die Geiseln eingerichtet haben, um sie von Medien und Neugierigen abzuschirmen. Der Mediziner Hagai Levine leitet das medizinische Team des „Hostages and Missing Persons Families Forum“, in dem die Angehörigen der Geiseln sich zusammengeschlossen haben. Die Lage sei äußerst komplex. „Es ist noch nie vorgekommen, dass ein neun Monate altes Baby und eine 86-jährige Frau mit Demenz und Parkinson entführt und in unmenschlichen Bedingungen festgehalten wurden, ohne Sonnenlicht, über sechs Wochen lang“, sagte er mit Blick auf die jüngste und die älteste Geisel.

    Wie ist der Gesundheitszustand der Geiseln in Israel?

    Weil das Rote Kreuz keinen Zugang zu den Entführten hatte, war über ihren Gesundheitszustand nichts bekannt. Rund ein Drittel von ihnen benötigt regelmäßige Medikamente oder Behandlungen, etwa wegen Krebs, Asthma und Diabetes, berichtet Hagai. Womöglich seien ohne die nötige Versorgung bereits ernste Komplikationen aufgetreten. Andere Geiseln wurden bei dem Überfall der Hamas verwundet. Im Falle der Frauen könnte es zu Vergewaltigungen gekommen sein. Und eine der Geiseln, ein dreieinhalbjähriges Mädchen, musste vermutlich die Ermordung ihrer eigenen Eltern mit ansehen. Manche der Befreiten dürften über lange Zeit psychologische Begleitung brauchen. „Die Heilung wird lange dauern“, sagt Hagai.

    Wie wacklig der Deal zwischen den beiden Kriegsparteien ist, zeigte sich daran, dass er immer wieder verschoben werden muste. Dem Abkommen vorausgegangen waren wochenlange Vermittlungsbemühungen – und ein regelrechter Nervenkrieg. Eigentlich war die Absprache schon am 14. November, nach intensiven Vermittlungsbemühungen durch Katar, fast unterschriftsreif. Doch es dauerte weitere zehn Tage, bis sie in Kraft treten konnte. Zuletzt hatte sich die Zusammenstellung der Namenslisten für die Freilassungen verzögert, wie die britische BBCaus katarischen Regierungskreisen erfuhr. Am Donnerstag, an dem die Waffenruhe eigentlich beginnen sollte, wurde deshalb weiter gekämpft. Erst am Freitagmorgen trat die Vereinbarung in Kraft.

    Katar trat im Deal als starker Vermittler auf

    Die militärisch unterlegene Hamas sei bereits vor drei Wochen zu einer Feuerpause bereit gewesen, sagt der Nahost-Experte Andreas Krieg vom Londoner King’s College. Zu dieser Zeit habe Israel aber noch geglaubt, ein Deal sei unnötig, weil die Armee die Geiseln befreien könne. Erst nachdem klar geworden sei, dass das nicht funktionieren werde, und unter dem wachsenden Druck der Angehörigen der Geiseln habe bei der Netanjahu-Regierung ein Umdenken eingesetzt, sagte Krieg der Deutschen Welle.

    Katar wandte sich nach Berichten von US-Medien bereits wenige Stunden nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober vertraulich an das Weiße Haus und bot seine Vermittlung an. Das Emirat unterhält enge Kontakte zur Hamas und zur Hamas-Unterstützerin Iran, aber auch zu Israel und den USA; im September hatte Katar einen Gefangenenaustausch zwischen den USA und dem Iran organisiert. Nun baten die Kataris die US-Regierung, sie solle eine „Zelle“ aus wenigen Regierungsbeamten als Ansprechpartner für die geheimen Verhandlungen bilden. Als ersten Erfolg verbuchte Katar die Freilassung von zwei Amerikanerinnen am 23. Oktober. Das habe die US-Regierung überzeugt, dass ein verlässlicher Verhandlungskanal über Katar zur Hamas bestehe, meldete der Nachrichtensender CNN.

    US-Präsident Joe Biden musste persönlich zum Telefonhörer greifen

    Die amerikanischen und israelischen Geheimdienstchefs, Bill Burns und David Barnea, reisten mehrmals nach Katar. Der Nahost-Gesandte Brett McGurk sprach mit Katars Emir Scheich Tamim bin Hamad al-Thani und Premier Netanjahu, während der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, ein Mitglied der Herrscherfamilie, direkt mit Hamas-Chef Ismail Haniyeh konferierte; Haniyeh wohnt in der katarischen Hauptstadt Doha. Obwohl die Verhandlungen also auf hoher Ebene liefen, blieben sie schwierig – am 14. November brachen sie völlig ab: Die Hamas verlangte als Bedingung für eine Fortsetzung, dass Israel seinen Angriff auf das Schifa-Krankenhaus in Gaza abblasen solle. Israel lehnte ab, sagte aber zu, dass die Klinik weiterarbeiten könne. Die Hamas erklärte sich darauf bereit, weiterzuverhandeln. 

    Die Hamas wandte zudem ein, dass einige Geiseln in der Gewalt von Splittergruppen an unterschiedlichen Orten in Gaza festgehalten würden und deshalb ohne vorherige Feuerpause keine Namenslisten aufgestellt werden könnten. Israel betrachtete dies als Ausrede. Die Hamas bestand außerdem auf einer fünftägigen Feuerpause, doch Israel wollte höchstens vier Tage akzeptieren. US-Präsident Joe Biden, für den die Freilassung der amerikanischen Geiseln aus innenpolitischen Gründen wichtig ist, setzte deshalb ein Ultimatum. Vorige Woche rief Biden persönlich den katarischen Emir an: „Die Zeit ist um.“ Es war der endgültige Durchbruch: Beide Kriegsparteien stimmten zu. 

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