Da die Erfolge an der militärischen Front ausbleiben, versucht es der russische Präsident Wladimir Putin mit einer neuen Strategie: Er greift gezielt die Infrastruktur der Ukraine an. Hunderttausende Haushalte im Land sind inzwischen ohne Strom. Befürchtet wird, dass die Menschen im Herbst und Winter noch schwerer in Not geraten werden und die Flucht in andere Länder ergreifen. Auch in Deutschland steigt die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge weiter an. Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, warnte bereits, dass die Hauptstadt an den Rand ihrer Möglichkeiten gerate. Insgesamt sind seit Jahresbeginn eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, 153.000 davon zog es nach Bayern.
Aktuell nehme die Zahl von Flüchtlingen aber nicht nur aus Richtung Ukraine zu. „Auch die bekannten Fluchtrouten, wie über den West-Balkan, stellen uns aktuell vor enorme Herausforderungen“, sagt Dirk Wiese, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, unserer Redaktion. „Im Gegensatz zu 2015 sind wir allerdings vorbereitet.“ Verstärkte Grenzkontrollen gegenüber der Slowakei sowie politischer Druck auf Serbien hätten bereits Wirkung gezeigt.
Kippt die Stimmung in Deutschland?
Sorge bereitet Wiese die Stimmung in Deutschland. „Russische Propaganda, Aufwiegelungen von rechts – im Tandem mit Sahra Wagenknecht – sowie der unsägliche Sozialtourismus-Vorwurf von Friedrich Merz sind Zutaten dafür, dass die Stimmung in der Bevölkerung angespannter wird“, sagt der Sozialdemokrat. Und der Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Mecklenburg-Vorpommern zeige eindringlich, dass Worten bereits Taten gefolgt seien. „Ich kann nur an alle appellieren, zusammenzustehen“, mahnt Wiese.
Die ukrainischen Streitkräfte setzten unterdessen trotz der Gefahr russischer Raketen- und Drohnenangriffe ihre Offensive zur Befreiung der von Moskau besetzten Gebiete fort. Russland merke, dass es verliere, und versuche deshalb, mit Angriffen auf Zivilisten Siege vorzutäuschen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Fachleute wie der Sicherheitsexperte Joachim Krause, Chef des Instituts für Sicherheitspolitik in Kiel, bestätigen diese Einschätzung. „Der Strategiewechsel in Moskau ist bislang wenig erfolgreich gewesen“, sagt er. Die Aushebung von Reservisten habe gezeigt, wie brüchig die Unterstützung für Putins Krieg in der Bevölkerung sei und wie wenig vorbereitet die russischen Streitkräfte auf die Integration der Reservisten in die kämpfende Truppe seien. „Die illegale Annexion der vier ukrainischen Provinzen hat die Ukrainer nicht davon abgehalten, Stück für Stück Territorium zurückzuerobern, und auch die nuklearen Drohungen sind bislang ohne Erfolg geblieben“, so Krause.
Experte fordert mehr Waffen für Kiew
Der Westen müsse auf die Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine reagieren: „Entweder schaffen wir es, den Ukrainern eine lückenlose Luftraumverteidigung hinzustellen, oder wir müssen den Ukrainern Waffen mit Reichweiten von bis zu 1000 Kilometern geben, sodass diese auch in die Tiefe des russischen Raums hineinwirken können, um dort militärische Ziele oder Einrichtungen der russischen Energieversorgung zu treffen“, sagt er. Denkbar wäre auch ein Ultimatum des Westens: Sollte Russland nicht sofort die Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine einstellen, würden westliche Staaten auch weitreichende Artilleriemunition, ballistische Raketen und Marschflugkörper an die Ukraine liefern.
An diesem Montag geht es bei einem
mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin um den Wiederaufbau des von Russland angegriffenen Landes.