Briten gelten als Meister der Inszenierung. Und so hatte auch die Kulisse für die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in London etwas Magisches. Der Regierungschef des kriegsgebeutelten Staates sprach am Mittwoch im ältesten Teil des britischen Parlamentes, der „Westminster Hall“, vor hunderten Parlamentariern. Dabei war eines der Worte, das er am meisten nutzte, "Danke". Großbritannien habe zu ihnen gestanden, als viele Länder noch nicht begriffen hatten, wie man auf die russische Invasion reagieren solle, sagte er.
Dabei richtete er sich an Premierminister Rishi Sunak, aber auch an dessen Vorgänger, Ex-Premier Boris Johnson. Er erhoffe sich angesichts heftiger Gefechte mit den russischen Truppen in der Ostukraine noch mehr Hilfe von den westlichen Verbündeten - und hoffe überdies, dass London dabei wieder eine Führungsrolle spiele. "In Großbritannien ist der König ein Kampfpilot, in der Ukraine ist heute jeder Kampfpilot ein König." Sunak versicherte im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz auf einem Truppenübungsplatz in Dorset im Südwesten Englands am späten Nachmittag, dass in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine ist „nichts vom Tisch“ sei und sie über die Lieferung Kampfjets im Gespräch blieben.
Olaf Scholz bremst die Debatte um Kampfjets
Es war erst Selenskyjs zweite öffentlich bekannt gewordene Auslandsreise seit Beginn des russischen Angriffskrieges. Zuvor war er Ende des Jahres in die USA mit Zwischenstopp in Polen gereist. Am Donnerstag wird Selenskyj in Brüssel zu einem EU-Gipfel erwartet. Am Mittwochabend wollte er sich noch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Premierminister Emmanuel Macron in Paris treffen. Dass sein Besuch ihn vorher ausgerechnet nach London führte, ist nicht überraschend.
Das Land gilt als einer der wichtigsten Verbündeten für den Regierungschef in Europa. "Ein wesentliches Element des Besuches ist überdies, den Druck auf andere Länder zu erhöhen", sagt Richard Whitman von der Denkfabrik "UK in a Changing Europe" unserer Redaktion. Schließlich habe Selenskyj sehr deutlich gemacht, dass die Ukrainer eine erneute russische Offensive fürchten. "Sie sind daran interessiert, dass die zugesagte Unterstützung schneller eintrifft", auch von deutscher Seite. Von dort kamen allerdings bereits zurückhaltende Töne. Scholz (SPD) warnte vor einem "Überbietungswettbewerb" nach dem Motto: "Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge - wer fordert noch mehr?" Deutschland werde sich daran nicht beteiligen.
Großbritannien verhängt neue Sanktionen gegen Russland
Der Besuch Selenskyjs in London war bis zum letzten Moment geheim gehalten worden. Dies zeigt, wie groß die Sorge um die Sicherheit des Präsidenten ist. Ihn zu töten, ist immer noch ein Ziel der Russen im Ukraine-Krieg, bestätigte Whitman von der Denkfabrik "UK in a Changing Europe". Als Selenskyj - wie gewohnt im olivgrünen Pullover und Stiefeln unterwegs - schließlich am Vormittag am Flughafen Stansted im Norden Londons landete, begrüßte ihn Sunak persönlich. Die beiden Regierungschefs umarmten sich noch auf dem Rollfeld herzlich, im Wissen um die Symbolik solcher Gesten. Anlässlich Selenskyjs Besuch kündigte London an, sein Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten zu erweitern. Das Training von Soldaten an dem Kampfpanzer habe nach Angaben von Premierminister Sunak bereits begonnen, zusätzlich sollen nun auch Piloten und Marinesoldaten trainiert werden.
Sunak lobte Selenskyjs überraschenden Besuch als "Zeugnis für den Mut, die Entschlossenheit und den Kampfgeist seines Landes und Zeugnis der unerschütterlichen Freundschaft unserer beiden Länder". Großbritannien hatte sich seit Kriegsbeginn stets schnell und entschlossen hinter die Ukraine gestellt und steht nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft auf Platz zwei der wichtigsten Waffenlieferanten für die Ukraine nach den USA.
London kündigte im Zuge des Besuches zunächst keine Lieferung von Kampfjets an, sondern lediglich die Erweiterung seines Ausbildungsprogramms für ukrainische Soldaten. Außerdem wurden weitere Sanktionen gegen Russland verhängt. Diese betreffen unter anderem Firmen, die nach britischen Angaben das russische Militär beliefern. Dazu gehören etwa der Drohnenhersteller CST, das Unternehmen RT Komplekt, das Bauteile für Militärhubschrauber herstellt, und Firmen, die Militärfahrzeuge reparieren, der Armee Software bereitstellen oder in die russische Militärlogistik involviert sind. Das britische Militär bildet schon seit 2015 Streitkräfte in dem osteuropäischen Staat aus und lieferte früher als andere Länder militärisches Equipment. Großbritannien hatte überdies als erstes Land die Lieferung moderner Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 in Aussicht gestellt – sie sollen im März in der Ukraine eintreffen.