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Ukraine: Selenskyj und Klitschko: Der Kampf der Giganten

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Selenskyj und Klitschko: Der Kampf der Giganten

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    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj muss sich immer wieder Kritik gefallen lassen.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj muss sich immer wieder Kritik gefallen lassen. Foto: President Of Ukraine, dpa

    Ein paar Tage sind es noch, dann endet zumindest offiziell die Amtszeit von Wolodymyr Selenskyj. Am 20. Mai läuft die aktuelle Regierungsperiode aus, und wäre die Ukraine nicht ein Land, dem ein Krieg aufgezwungen worden wäre, müsste sich der Präsident dem Votum seines Volkes stellen. Doch solange die Schlachten toben, ist an eine Wahl nicht zu denken. Millionen Infrastruktur ist zerbombt, Gebiete im Osten des Landes hat Russland völkerrechtswidrig annektiert. Und so bleibt der Präsidentenpalast in der Kiewer Bankowa-Straße wohl noch für eine längere Zeit der Dreh- und Angelpunkt im Leben des 46-jährigen. 

    Er wird Staatschefs und Minister empfangen, mit ihnen an der blauen Mauer des St. Michaelsklosters in Kiew entlanglaufen, dort, wo die Bildchen der gefallenen Soldaten angebracht sind. Er wird an die Front reisen, um die Motivation seiner Armee aufrechtzuerhalten. Und er wird bei den Mächten in aller Welt um Geld und Waffen und politische Rückendeckung werben, damit wenigstens 2024 nicht das Jahr sein wird, in dem die Ukraine den Kampf gegen den Aggressor Wladimir Putin verliert. Selenskyj ist zum Gesicht des Widerstands geworden, zum Inbegriff des Mutes der Ukrainerinnen und Ukrainer. Doch eines ist er längst nicht mehr: unumstritten.

    Wolodymyr Selenskyj und Vitali Klitschko reden nicht miteinander

    Einer seiner schärfsten Widersacher ist Vitali Klitschko, mächtiger Bürgermeister der Hauptstadt Kiew. Trotz des anhaltenden Krieges gelingt es den beiden Machtmenschen nicht, ihre Rivalität im Stillen auszutragen. In einem Interview mit Zeitungen der Funke Mediengruppe teilte der frühere Profiboxer jüngst aus: „Leider gibt es in dieser Kriegszeit keine Einheit zwischen den politischen Kräften“, sagte Klitschko. Auf die Frage, ob er sich mit Selenskyj mittlerweile getroffen habe, um die Spannungen zwischen den beiden aus der Welt zu schaffen, sagte Klitschko, er habe das seit dem Kriegsanfang zigmal versucht, weil von der Hauptstadt viel abhänge. „Aber leider hatte ich nicht die Gelegenheit, Selenskyj persönlich zu treffen. Wahrscheinlich hat er anderes zu tun.“ Wichtig sei es, in der aktuellen Lage politische Ambitionen zu vergessen. „In einer solchen Situation politischen Wettbewerb zu betreiben, ist Dummheit.“ 

    Neu sind die gegenseitigen Sticheleien nicht. Schon seit Jahren schwelt der Streit zwischen den Politikern. Wer als politischer Gast nach Kiew reist, muss sich bisweilen entscheiden, ob er Selenskyj oder Klitschko treffen will – ein Besuch beim einen schließt mitunter eine Einladung beim anderen aus.

    Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew,  hat ein schlechtes Verhältnis zu Präsident Selenskyj.
    Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, hat ein schlechtes Verhältnis zu Präsident Selenskyj. Foto: Felix Hörhager, dpa

    Tut Selenskyj genug gegen die Korruption in der Ukraine?

    Tatsächlich thematisiert Klitschko Probleme, die viele Ukrainer beschäftigen, das größte ist die nach wie vor grassierende Korruption. Selenskyj hatte diesen Kampf zu einer seiner wichtigsten Aufgaben gemacht. Der Nachweis von Erfolgen gilt auch als Voraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft seines Landes. Trotzdem gilt die Ukraine nach wie vor als eines der korruptesten Länder Europas. Erst vor wenigen Tagen wurde ein hochrangiger Beamter des Geheimdienstes SBU wegen entsprechender Vorwürfe entlassen. Doch immerhin: Vorwürfe werden geahndet, statt sie unter den Teppich zu kehren, so wie es jahrzehntelang Usus war. 

    Auch von anderer Seite wird Kritik am ukrainischen Präsidenten laut. Noch vor einem Jahr kürte das US-Magazin Time Selenskyj zur Person des Jahres 2022. Inzwischen bescheinigen ihm frühere Weggefährten Selbstherrlichkeit, Beratungsresistenz und einen zunehmend autoritären Führungsstil. Das Kriegsrecht gibt ihm zudem Instrumente in die Hand, die sich nicht nur gegen den russlandfreundlichen Teil der Opposition richten. Das Demonstrationsrecht ist eingeschränkt. Parlamentsdebatten laufen unter Verweis auf die Sicherheit hinter verschlossenen Türen ab. 

    Will Klitschko Präsident werden?

    Doch hinter Klitschkos Angriffen dürfte nicht nur inhaltliche Kritik stehen. Dem Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt werden schon lange politische Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt. Doch die decken sich zumindest nach Aussagen seiner Kritiker nicht immer mit seinem Handeln. Die Wochenzeitung Zeit schrieb über ihn: „In Kiew gilt Klitschko vielen als eine Art PR-Bürgermeister, der gern öffentlichkeitswirksame Projekte wie die Eröffnung einer teuren Fußgängerbrücke im Zentrum der Stadt präsentiert.“ Und weiter: „Die erheblichen Probleme mit der Heizungs- und Warmwasserversorgung hat es schon ohne russischen Beschuss der Infrastruktur gegeben, lange vor dem vollumfänglichen Krieg. Hinzu kommt die illegale Bebauung, gegen die Klitschko kaum etwas unternimmt.“ 

    Immer wieder, so politische Beobachter, habe es in den vergangenen Jahren Versuche von Selenskyj gegeben, die Macht des Kiewer Bürgermeisters zumindest zu beschneiden. Und doch ist Klitschko dem Präsidenten auch nützlich: Seine Prominenz trägt mit dazu bei, dass die Ukraine zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung nicht in Vergessenheit gerät.

    Vitali Klitschko hätte aktuell keine Chance auf das Präsidentschaftsamt

    Ernsthafte Chancen auf die Präsidentschaft hätte Klitschko ohnehin nicht, in Umfragen landet er weit abgeschlagen. Das Internationale Institut für Soziologie in Kiew bescheinigt ihm sogar eine „negative Vertrauens-Misstrauens-Bilanz“: 45 Prozent der Befragten vertrauen Klitschko laut der Umfrage, 51 vertrauen ihm nicht. Zum Vergleich: 64 Prozent der befragten Ukrainerinnen und Ukrainer vertrauen Selenskyj. Auch dieser Wert war schon einmal deutlich besser, doch gekippt ist die Stimmung noch nicht. 

    Eher als Klitschko wäre es wohl Ex-Präsident Petro Poroschenko, der dem Staatschef gefährlich werden könnte – also jener Politiker, den Selenskyj mit seiner Partei „Diener des Volkes“ einst bei der Wahl haushoch besiegt hatte. „Wenn Sie mich fragen, ob ich an den nächsten Wahlen teilnehmen möchte – ja“, sagte Poroschenko kürzlich dem arabischen Sender Al Jazeera. Doch bevor Wahlen stattfinden könnten, müsse die Ukraine einen Sieg über Russland erringen.

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