Erst war es nur eine Behauptung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Inzwischen spricht der südkoreanische Geheimdienst NIS von Beweisen, die vorliegen: Nordkorea unterstütze den Angriff Russlands auf die Ukraine offenbar auf direkte Weise. Mithilfe von Satellitenbildern sieht es das NIS als erwiesen an, dass 12.000 Soldaten aus Nordkorea nach Russland gebracht werden und 1.500 Soldaten bereits nach Wladiwostok gelangt sind– um dann an der Seite Russlands in der Ukraine zu kämpfen.
Sollten sich die NIS-Informationen als korrekt erweisen, würde der im Februar 2022 gestartete neuerliche Angriff Russlands auf die Ukraine damit eine neue Dimension erreichen. Mit Ausrüstung unterstützt Nordkorea Russland offenbar schon länger. Die Entsendung von Soldaten aus Drittstaaten– zumal sich Nordkorea geografisch Tausende Kilometer von der Ukraine entfernt befindet – würde daraus einen kontinentenübergreifenden Krieg machen. Auch von der Nato hieß es, es wäre eine „erhebliche Eskalation“, sollten sich die Berichte bestätigen. „Wenn sie stimmen, ist dies eine gefährliche und höchst besorgniserregende Entwicklung“, sagte der stellvertretende amerikanische UN-Botschafter Robert Wood bei einer Sitzung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Sicherheitsabkommen zwischen Nordkorea und Russland
Doch warum sollte Nordkoreas Regierung überhaupt Soldaten ins Ausland schicken? US-Schätzungen zufolge hat der Krieg auf russischer Seite bereits zu 600.000 Toten, Verletzten oder Vermissten geführt. Auch unter Nordkoreas Soldaten würde es wohl zu hohen Opferzahlen kommen.
Ein Beweggrund für das Regime in Pjöngjang ist das im vergangenen Sommer abgeschlossene Abkommen zwischen Russland und Nordkorea, das besagt, beide Staaten würden sich gegenseitig zu Hilfe kommen, sobald einer von ihnen angegriffen wird. Nachdem ukrainische Soldaten vor einigen Monaten begonnen hatten, in der Region Kurs auch auf russisches Staatsterritorium vorzudringen, sieht der Kreml diesen Fall offenbar eingetreten. Russlands Präsident Putin bezeichnete die ukrainische Offensive als „große Provokation“ und „rücksichtsloses Feuern.“
Wenn nun Nordkoreas Kim Jong Un seine Truppen nach Russland schickt, stützt er das von Russland gezeichnete Bild, die Ukraine und nicht Russland sei die Aggressorin in diesem Krieg. Hinzu kommt, dass Nordkorea bei Russland in der Schuld stehen dürfte. Von Munitionsexporten dürfte der insgesamt arme Staat ebenso profitieren wie vom Knowhow, das Nordkorea von Russland für sein Satelliten- und womöglich auch Atomwaffenprogramm erhält.
Beide Länder sehen im Westen ihren Feind
Die Annäherung zwischen Russland und Nordkorea ist eine Folge des neuerlichen Angriffs Russlands auf die Ukraine. Seit große Teile der internationalen Gemeinschaft für Sanktionen gegen Russland gestimmt haben, haben die Regierungen aus Pjöngjang und Moskau – die schon im Kalten Krieg über weite Strecken eng zusammenarbeiteten – eine Gemeinsamkeit: Beide sind mit harten Sanktionen belegt, beide sehen im liberalen Gesellschaftsmodell und den westlichen Staaten ein Feindbild.
Zudem hatte Kim Jong Un drei Jahre zuvor – als Verhandlungen mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump über eine Lockerung der UN-Sanktionen gescheitert waren – eine Verständigung mit dem Westen sowie dem verfeindeten Südkorea aufgegeben. Eine Annäherung mit Russland bot sich an. „Neben Belarus dürfte Nordkorea nun jener Staat sein, der Russland politisch am nächsten ist“, sagt Vladimir Tikhonov, Professor für Koreastudien an der Universität Oslo.
Das nordkoreanische Regime verdankt seine politische Legitimität nicht zuletzt dem Ausnahmezustand, in dem sich die Nation offiziell wähnt: Man sieht sich durch Südkorea – mit dem man seit Ausbruch des dreijährigen Koreakriegs ab 1950 im Kriegszustand verharrt – sowie den in Südkorea militärisch stark positionierten USA akut bedroht. Diese von den Staatsmedien des Ein-Parteienstaats geprägte Erzählung dient wiederum als Rechtfertigung dafür, dass Nordkorea zwar ein Atomwaffenprogramm verfolgt, zugleich aber das Geld fehlt, um akute Unterernährung im Land zu verhindern. Wenn man nun den strategischen Partner Russland unterstützen muss, unterstreicht dies den Ausnahmezustand. Edward Howell, Nordkorea-Experte an der Universität Oxford, sagt: „Nordkoreas Aktionen sollen die Bereitschaft für einen Konflikt signalisieren.“
Für den Fall, dass Russland Nordkorea mit zentraler Technologie für Atomwaffen unterstützt, hat Südkoreas Regierung aber angekündigt, ihre Form der Unterstützung für die Ukraine neu zu überdenken. Und wenn nun nordkoreanische Soldaten in der Ukraine für Russland kämpfen, steigt zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass Russland als Gegenleistung weitere Unterstützung an Nordkorea leistet. So kann sich der Ukraine-Krieg noch auf weitere Länder ausweiten, falls niemand einen Schritt rückwärts macht.
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