Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Krieg gegen die Ukraine: Das Grauen von Butscha: Warum die russische Propaganda falsch ist

Krieg gegen die Ukraine

Das Grauen von Butscha: Warum die russische Propaganda falsch ist

    • |
    Dieses von Maxar Technologies bereitgestellte Satellitenbild zeigt einen Überblick über zerstörte Häuser und Fahrzeuge in einer Straße in Butscha.  Die Leichen sind auf diesem Bild nicht zu sehen.
    Dieses von Maxar Technologies bereitgestellte Satellitenbild zeigt einen Überblick über zerstörte Häuser und Fahrzeuge in einer Straße in Butscha. Die Leichen sind auf diesem Bild nicht zu sehen. Foto: Maxar Technologies,d pa

    Die russische Propaganda-Maschine rattert unaufhörlich: Kaum waren die Bilder der getöteten Zivilisten aus Butscha öffentlich, ließ der Kreml seine eigene „Wahrheit“ verbreiten: Die Fotos und Videos seien „nur eine weitere Provokation“. Und: „Während der Zeit, in der die Stadt unter der Kontrolle der russischen Streitkräfte stand, wurde kein einziger Einwohner Opfer von Gewalt.“ Russische Soldaten hätten im Gegenteil Hilfsgüter an die Menschen verteilt. Die Soldaten hätten die Stadt geordnet verlassen. „Besonders besorgniserregend ist, dass alle Leichen der Menschen, deren Bilder vom Kiewer Regime veröffentlicht wurden, nach mindestens vier Tagen noch nicht erstarrt sind, keine typischen Leichenflecken aufweisen und die Wunden unverbrauchtes Blut enthalten“, so die Stellungnahme des russischen Verteidigungsministeriums.

    Fällt der Westen also auf ukrainische Propaganda rein? Nein! Inzwischen liegen neue Daten vor, die zumindest glasklare Indizien liefern. Die New York Times veröffentlichte Videos und Satellitenbilder, die die russischen Behauptungen widerlegen. Satellitenaufnahmen zeigen, dass sich die Überreste mehrerer Menschen bereits Mitte März auf der Straße befanden – damals war der Kiewer Vorort unter russischer Kontrolle. Die Truppen haben Butscha am 30. März verlassen, das bestätigt auch das Moskauer Verteidigungsministerium. Auf einem der Bilder, das mit dem Datum vom 19. März datiert ist, waren sieben Figuren zu sehen. Die Analyse weiterer Aufnahmen habe gezeigt, dass die Körper später nicht bewegt worden seien, schreibt die renommierte New York Times. Die „hochauflösenden“ Bilder „bestätigen die jüngsten Videos und Fotos in den sozialen Medien, auf denen Leichen zu sehen sind, die seit Wochen auf der Straße liegen“, erklärte ein Sprecher der US-Satellitenbildfirma Maxar Technologies der Nachrichtenagentur AFP.

    Leichenstarre lässt nach

    Das erklärt auch, warum bei den Getöteten keine Leichenstarre sichtbar ist. Die lässt in der Regel nach wenigen Tagen nach. In der Regel löst sich die Erstarrung der Muskeln schon nach 24 bis 48 Stunden wieder.

    Wolodymyr Selenskyj (Zweiter von links) bei seinem Besuch in Butscha.
    Wolodymyr Selenskyj (Zweiter von links) bei seinem Besuch in Butscha. Foto: President Of Ukraine, Zuma Press Wire Service/dpa

    Nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums sind die russischen Streitkräfte für die Verbrechen in der ukrainischen Stadt Butscha verantwortlich. „Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich – nicht nur für uns, sondern für die Welt –, dass russische Kräfte für die Gräueltaten in Butscha verantwortlich sind“, sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will eine lückenlose Aufklärung der Verbrechen gegen Zivilisten. Dazu arbeite man unter anderem mit der EU und dem Internationalen Strafgerichtshof zusammen, sagte er in einer im Internet veröffentlichten Videobotschaft.

    Selenskyj versicherte, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. „Die Zeit wird kommen, in der jeder Russe die ganze Wahrheit darüber erfahren wird, wer von seinen Mitbürgern (in der Ukraine) gemordet hat. Wer Befehle gegeben hat. Wer bei den Morden ein Auge zugedrückt hat“, sagte er. Er lud Journalisten aus der ganzen Welt ein, sich die zerstörten Städte anzusehen. „Lassen Sie die Welt sehen, was Russland getan hat!“ Selenskyj, der Butscha am Montag besuchte, befürchtet, dass russische Truppen nun versuchten, „die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen“.

    Der Bürgermeister der Kleinstadt Butscha, wies die Behauptungen der Russen zurück, er könne den friedlichen Abzug bezeugen. „Meine Leute wurden aus Spaß oder aus Wut erschossen“, sagte Anatoly Fedoruk der italienischen Zeitung Corriere della Sera. „Die Russen haben auf alles geschossen, was sich bewegt hat: Passanten, Leute auf Fahrrädern, Autos mit der Aufschrift ,Kinder‘. Butscha ist die Rache der Russen für den ukrainischen Widerstand.“ Teile der Stadt seien „in ein Konzentrationslager umgewandelt worden“ ohne Essen und Wasser. „Wer sich da raus wagte, um Nahrung zu suchen, der wurde erschossen.“

    Das Massaker in Butscha hat eine eindeutig russische Handschrift

    Auch Experten halten es für plausibel, dass die russische Armee die Verbrechen in Butscha begangen hat – und viel mehr noch: „Es folgt einem Muster von Kriegsverbrechen und Massengewalt, das wir bis in die 1980er Jahre nach Afghanistan und Tschetschenien zurückverfolgen können“, sagt der Historiker Jan Claas Behrends vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZFF) in Potsdam unserer Redaktion. „Auch dort verübte die russische Armee, wenn sie unter Druck geriet, ähnliche Gräueltaten. Insofern kann man davon sprechen, dass Massengewalt gegen Zivilisten, Terror, Raub und Vergewaltigung zum modus operandi russischer Einheiten gehören.“ Wenn das Militär in Bedrängnis gerate, militärisch keine Erfolge mehr habe oder auch Rache für Verluste üben wolle, greife es zu massiver Gewalt.

    Genau das war in den vergangenen Wochen in der Ukraine zu beobachten: Was als „Blitzkrieg“ angelegt war, entpuppte sich für die russische Armee als zäher Kampf gegen eine hochmotivierte ukrainische Truppe. „Die genaue Intention können wir zu diesem Zeitpunkt nicht benennen“, sagt Behrends. „Wahrscheinlich handelte es sich um eine Gemengelage aus Frustration über die eigenen militärischen Misserfolge, Rache für gefallene Kameraden, Terror gegen eine widerständige Bevölkerung und einfacher Disziplinlosigkeit. Da in der russischen Armee solche Übergriffe nicht geahndet werden, herrscht zudem eine Kultur der Gewalt, die sich in solchen Situationen Bahn bricht.“

    Angesichts der schockierenden Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha bereitet der Westen schärfere Sanktionen gegen Russland vor.
    Angesichts der schockierenden Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha bereitet der Westen schärfere Sanktionen gegen Russland vor. Foto: Efrem Lukatsky, dpa

    Der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehruniversität München geht davon aus, dass das Massaker von Butscha kein Einzelfall ist. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir noch weitere dieser Bilder erleben“, sagt er in seinem Podcast „Ukraine – Die Lage“. Die gesamte Argumentation des russischen Verteidigungsministeriums breche in sich zusammen. „Es ist keine ukrainische Propaganda, es ist bittere und blutige Realität des Krieges“, sagt er. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob das Verbrechen von der politischen Führung in Moskau gesteuert ist. „Was wir aber sagen können, ist, dass es durchaus zur russischen Strategie bei militärischen Operationen gehört“, sagt Masala. „Das hat Systematik.“ Insofern sei das brutale Vorgehen zumindest von der politischen Führung toleriert.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden