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Krankenhausreform: "Sofort abschalten": Verheerendes Zeugnis für Lauterbachs Klinik-Atlas

Krankenhausreform

"Sofort abschalten": Verheerendes Zeugnis für Lauterbachs Klinik-Atlas

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    Gesundheitsminister Karl Lauterbach steht wegen Fehlern im Klinik-Atlas in der Kritik
    Gesundheitsminister Karl Lauterbach steht wegen Fehlern im Klinik-Atlas in der Kritik Foto: Soeren Stache, dpa

    Schon gleich nach dem Start des von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach medienwirksam vor Livekameras vorgestellten Bundes-Klinik-Atlas stießen Nutzer und Krankenhäuser auf rätselhafte Falschangaben. So spuckte das Portal für eine auf Frauenheilkunde spezialisierte kleinere bayerische Klinik nur zehn oder elf Brustkrebsoperationen pro Jahr aus: Laut Lauterbachs Empfehlungen wäre das ein Warnzeichen, dass Patientinnen mangels OP-Erfahrung einen Bogen um die Klinik machen sollten. Doch in Wahrheit macht das Haus über hundert OPs, weshalb der Empfehlungstacho des Atlas eigentlich Richtung Grün hätte zeigen müssen. 

    Nachdem unsere Zeitung als Erstes über offensichtliche Fehler berichtete, folgen noch immer fast jeden Tag ähnliche Klagen von Krankenhäusern, obwohl die Seite inzwischen mehrere Updates erhalten hat. Viele Kliniken fürchten um ihren Ruf. Ein ausgewiesenes von der Krebsgesellschaft zertifiziertes Lungenzentrum beklagt, dass es im Atlas bei Suche nach Lungenkrebs-Behandlung nicht mal aufgeführt wird. Die Uniklinik Homburg moniert, dass bei der Frühgeborenen-Versorgung nur sechs statt in Wirklichkeit mehr als 75 Fälle pro Jahr genannt werden, eine Prostata-Spezialklinik wird in ihrem Bereich mit nur vier statt 156 Operationen aufgeführt. 

    Fachgesellschaften beklagen "völligen Unsinn" im Bundes-Klink-Atlas

    Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft gibt es „unzählige“ solcher Probleme im Klinik-Atlas. Nun schlagen auch die renommierten medizinischen Fachgesellschaften Alarm. In einem unserer Redaktion vorliegenden elfseitigen Diskussionspapier von 20 der unterschiedlichsten Fachrichtungen von Intensivmedizinern über Geburtshilfe, Kindermedizin bis zu unterschiedlichen Chirurgie-Spezialisten ist von unbrauchbaren bis zu „medizinisch gefährlichen Angaben“ des Portals die Rede. 

    „Gleich der erste Blick zeigt einen völligen Unsinn“, schreibt ein Vertreter. „Zahlen sind vogelwild.“ Ein anderer mahnt: „Es ist eine Frage der Zeit, bis auch die Presse auf die Defizite der aktuellen Version aufmerksam wird und diese dann – zu Recht – in ihre Einzelteile zerlegt.“ Ein Experte klagt, aus Sicht seiner Fachrichtung sei „diese erste Version als untauglich und für Patienten irreführend einzustufen“. Ein andere Gesellschaft zieht das Fazit, der „Bundes-Klinik-Atlas strotzt, wie wir übereinstimmend feststellen, von Fehlern“. 

    Krankenhäuser fordern sofortig Abschaltung des Bundes-Klinik-Atlas

    Die Kommission der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, AWMF, forderte nun den Bundesgesundheitsminister „dringend“ auf, das Portal mit Warnhinweisen zu versehen und den Klinikatlas zumindest als „Beta-Version“ auszuweisen. Das Portal könne „nicht zielführend genutzt werden“, sondern, im Gegenteil, Patientinnen und Patienten fehlleiten. 

    „Viele Fachgesellschaften sind deshalb der Ansicht, dass der Bundes-Klinik-Atlas wieder abgeschaltet werden sollte, bis er vertrauenswürdigere Informationen aufweist“, heißt es in der AWMF-Stellungnahme. 

    „Die Einschätzung der Fachverbände deckt sich mit den Rückmeldungen Hunderter Kliniken aus allen Bundesländern über teils drastische Fehler und Falschangaben“, sagt auch der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gerald Gaß. „Spätestens jetzt, da zahlreiche medizinische Fachverbände die Abschaltung von Lauterbachs Klinik-Atlas fordern, sollte das dem Minister zu denken geben, schließlich beruft er sich auch sonst immer auf die Wissenschaft“, betont der Vertreter der Krankenhausträger.

    Gerald Gaß fordert, den Klinik-Atlas aus dem Netz zu nehmen.
    Gerald Gaß fordert, den Klinik-Atlas aus dem Netz zu nehmen. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Gaß fordert, das Portal schnell vom Netz zu nehmen: „Der Minister muss diesen grob falschen und irreführenden Atlas sofort abschalten und die Fehler zunächst gewissenhaft korrigieren Schließlich geht es hier um Empfehlungen, die über die Gesundheit der Menschen entscheiden können.“ 

    Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach: Klinik-Atlas muss vom Netz

    Auch Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach fordert eine Abschaltung der Seite: „Ich fordere den Bundesgesundheitsminister mit Nachdruck dazu auf, seinen Klinik-Atlas vom Netz zu nehmen, bis dessen gravierende Mängel verlässlich beseitigt sind“, betont die CSU-Politikerin. 

    „Leider überraschen die massiven fehlerhaften Angaben im Klinik-Atlas nicht wirklich“, sagte Gerlach. „Wir haben von Beginn an darauf hingewiesen, dass das mit heißer Nadel gestrickte und gegen die inhaltlichen Bedenken der Länder von Bundesminister Karl Lauterbach durchgezogene Krankenhaustransparenzgesetz korrekturbedürftig ist.“ Lauterbach habe das Gesetz aber im Streit um die Klinikreform einfach durchgedrückt. „Das Ergebnis sehen wir nun: Ein angebliches Transparenzverzeichnis, das aber keinerlei Transparenz bringt, sondern ausschließlich Verwirrung stiftet.“ Das Projekt sei "ein völlig verkorkstes Konstrukt, das im schlimmsten Fall das Wohl der Patientinnen und Patienten gefährdet“.

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