Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Krankenhausreform: Regeln für Krebschirurgie machen Fachleute fassungslos

Interview

Bayerns Klinikverbandschef warnt: „Die Risiken der Krankenhausreform sind unkalkulierbar“

    • |
    • |
    Protest von Klinikbeschäftigten gegen die Finanzkrise der deutschen Krankenhäuser.
    Protest von Klinikbeschäftigten gegen die Finanzkrise der deutschen Krankenhäuser. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Herr Engehausen, als Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft vertreten Sie die Träger der Kliniken im Freistaat. Am Freitag entscheidet der Bundesrat über die umstrittene Krankenhausreform. Bayern, Nordrhein-Westfalen und weitere Länder möchten den Vermittlungsausschuss anrufen. Glauben Sie, dass das Gesetz aufgehalten wird?

    ROLAND ENGEHAUSEN: Das ist schwer abzusehen. Auf Fachebene sind die Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister der Länder mehrheitlich für einen Vermittlungsausschuss. Doch letztlich entscheiden das die Staatskanzleien auf Grundlage der Koalitionsverträge. Im Streitfall zwischen Regierungsparteien enthält sich dann das Land in der Regel. Für die Anrufung des Vermittlungsausschusses bräuchte es aber eine Mehrheit der Länder.

    Wie wirkt sich diese Unsicherheit auf die Beschäftigten und den Alltag in den Kliniken aus?
    ENGEHAUSEN: Die aktuelle Lage führt zu Planungsunsicherheit, denn mit dem Gesetz sind wichtige finanzielle Aspekte verbunden. Die Krankenhäuser stehen schon seit Jahren unter immensem Druck, der durch die Inflation und gestiegene Kosten noch verstärkt wurde. Bei sensiblen Themen wie beim Krankenhausessen, das auch wichtig für die Genesung von Patienten ist, spüren wir die Belastung. Mit nur sechs Euro pro Tag und Patient für Mahlzeiten wird es schwierig, gesund und patientenorientiert zu kochen. Das ist nur ein kleines Beispiel für den Spardruck, der sich leider auch auf die Patientenversorgung sichtbar auswirkt.

    Roland Engehausen ist seit vier Jahren Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft.
    Roland Engehausen ist seit vier Jahren Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Foto: Bayerische Krankenhausgesellschaft

    Würde die Krankenhausreform mehr Sicherheit schaffen, wenn sie in Kraft tritt?
    ENGEHAUSEN: Nein, wenn die Krankenhausreform jetzt durch den Bundesrat käme, würde sie keine Sicherheit für die Kliniken schaffen, denn das vorliegende Gesetz funktioniert nicht. Das Gesetz von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist ein handwerklich schlecht gemachtes Experiment ohne Testphase. Die jetzige Krankenhausreform ist extrem komplex, weil in vier bestehenden Gesetzen in unterschiedlichsten Paragrafen teils kleine Halbsätze geändert werden, ohne dass die Folgen abschätzbar sind. Auch technisch ist das Gesetz in seiner jetzigen Form gar nicht umsetzbar, weil das beauftragte Institut die Regelungen fachlich und rechnerisch nicht abbilden kann. Es ist das komplizierteste Gesetzeswerk, mit dem die Kliniken jemals konfrontiert waren.

    Was sollten die Länder jetzt tun?
    ENGEHAUSEN: Die Risiken und Nebenwirkungen der vorliegenden Krankenhausreform sind unkalkulierbar. Deshalb wäre es gut, Bund und Länder würden das Gesetz in einem Vermittlungsverfahren nach dem Vorbild der Reform von Nordrhein-Westfalen auf ihren Kern reduzieren und all die nicht erprobten, unkalkulierbaren Elemente zurückstellen. Dann hätten die Kliniken mehr finanzielle und rechtliche Sicherheit, als wenn die Reform ohne Änderung käme oder ganz scheitern würde. Im Grunde haben die Länder die Wahl zwischen Pest und Cholera. Unsere Sorge ist, dass die Krankenhausreform zu einer Dauerbaustelle werden wird.

    Was macht Nordrhein-Westfalen besser?
    ENGEHAUSEN: Nordrhein-Westfalen macht eine von vielen Fachleuten gelobte Reform nach Landesrecht die zeigt, wie es besser gehen kann: Dort findet eine Reform mit mehr Spezialisierung statt, die regionalen Bedingungen berücksichtigt. Dafür steht der Gesundheitsminister in NRW persönlich ein und erklärt dies. Die NRW-Krankenhausreform wäre ein gutes Muster für alle Bundesländer. Herrn Lauterbach reicht dies nicht und daher möchte er seine komplizierte Bundesreform durchsetzen. Aber für die Umsetzung dieses Bundesgesetzes wird niemand mehr aus der Landespolitik die Verantwortung übernehmen können, weil die Detailvorgaben künftig vom Bund kommen. Für Krankenhäuser im ländlichen Raum können aber nicht pauschal die gleichen strikten Strukturvorgaben wie in Berlin, Hamburg oder München gelten und dies wäre auch nicht nötig, um eine gute Qualität sicherzustellen. Mit den bayerischen Schlaganfallnetzen zeigen wir, dass hohe Qualität durch gute Zusammenarbeit von Maximalversorgern mit Kooperationskliniken im ländlichen Raum sehr gut möglich ist.

    Wo lag der Konstruktionsfehler bei Lauterbachs Reform?
    ENGEHAUSEN: Der entscheidende Fehler von Anfang an war es, die Betroffenen nicht einzubinden, allen voran die Krankenhäuser und die Krankenkassen. Die Eckpunkte der Reform wurden von einer Expertenkommission erarbeitet, die zwar aus angesehenen Wissenschaftlern bestand, aber darunter waren keine Fachleute, die sich mit dem komplexen Finanzierungssystem auskennen, was ja nur ergänzt und nicht abgeschafft wird. Minister Lauterbach verzichtete bewusst auf die Expertise der Krankenhäuser und der Krankenkassen, die er als Lobbyisten titulierte. Und dann kündigte der Bundesminister auch noch die Zusammenarbeit mit den Bundesländern auf, die für die Krankenhausplanung zuständig sind und sich mit den Bedürfnissen vor Ort auskennen. Heraus kam ein technokratisches Sammelsurium an völlig praxisuntauglichen Regeln, das viele Fachleute fassungslos macht.

    Können Sie ein Beispiel nennen, das Sie fassungslos macht?
    ENGEHAUSEN: Eines von vielen Beispielen ist die Krebschirurgie. Laut dem Gesetz sollen pauschal die 15 Prozent der Kliniken mit der niedrigsten Zahl an Operationen in der onkologischen Chirurgie im Jahr 2023 ein dauerhaftes Abrechnungsverbot erhalten. Das hieße, sie dürften diese Leistungen nicht mehr anbieten, selbst wenn sie 2024 deutlich höhere Behandlungszahlen haben. Die Berechnung gilt bundesweit und wird damit vor allem Kliniken im ländlichen Raum treffen, die generell weniger groß sind. Und es kann wegen der sturen Vorgaben selbst Kliniken erwischen, die von der Deutschen Krebsgesellschaft als anerkannte Krebszentren zertifiziert sind. Das zeigt, wie absurd und praxisfern die Regelungen sind.

    Ist das Ziel nicht berechtigt, solche Spezialoperationen auf Großkliniken zu konzentrieren?
    ENGEHAUSEN: Der entscheidende Maßstab muss die Qualität, nicht die Größe sein. Doch die Qualität wird nicht an Prozessen oder den Behandlungsergebnissen gemessen, es geht um die Zahl der Behandlungen und Strukturen. Das Grundprinzip der Reform ist die Annahme, je mehr Strukturen in einer Klinik vorhanden sind, umso besser müsste die Versorgung der Patienten sein. Nach diesem Denkmuster könnte man genauso sagen, die Deutsche Bahn ist auf jeden Fall besser als die Schweizer Bahn, denn sie hat mehr Schienen, Fahrzeuge und Personal. Die Fahrgäste messen die Qualität aber an Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Und hier spielen eben in Kliniken auch die Organisation, die Hygiene, der Infektionsschutz sowie die pflegerischen und medizinischen Abläufe eine entscheidende Rolle.

    Werden die kleinen Kliniken die Verlierer der Reform sein?
    ENGEHAUSEN: Der finanzielle Druck auf die Krankenhäuser wird durch die Reform für alle Krankenhäuser steigen. Das trifft auch die größeren Kliniken. Viele Kliniken stecken bereits heute in finanziellen Schwierigkeiten und werden durch zusätzliche Bürokratie und Strukturvorgaben des Gesetzes noch mehr belastet. Die kleineren Häuser in ländlichen Regionen werden zusätzlich zu diesem Kostendruck gezwungen sein, ihr Leistungsspektrum zu reduzieren. Das führt zu weiteren Problemen, weil dadurch ein Krankenhaus auch weniger attraktiv für den ärztlichen und pflegerischen Nachwuchs werden kann und die fachärztliche Weiterbildung an diesen Standorten schwieriger wird.

    Die Reform sollte den kleinen Krankenhäusern auf dem Land mit einer sogenannten Vorhaltefinanzierung unabhängig von den Behandlungsfällen helfen. Funktioniert das nicht?
    ENGEHAUSEN: Nein, die jetzt präsentierte Art der Vorhaltefinanzierung löst kein einziges Problem der Krankenhäuser, sondern führt zu neuen. Es ärgert uns sehr, dass hier etwas versprochen wird, was einfach nicht stimmt. Im Prinzip wäre eine Finanzierung von Vorhaltekosten eine gute Idee. Eine Grundfinanzierung für Bereiche mit nicht gut planbaren Leistungen und schwankenden Auslastungen, wie der Intensivmedizin für eine 24-Stunden-Versorgung, wäre richtig. Die jetzige Vorhaltefinanzierung ist aber nur ein von Jahr zu Jahr schwankender Vorschuss, der sich an Behandlungsfällen des Vorjahres bemisst. Mit den Vorhaltekosten hat dies überhaupt nichts zu tun. Außerdem führt das System zu Fehlanreizen.

    Welche Fehlanreize gibt es bei der Vorhaltefinanzierung?
    ENGEHAUSEN: Das System erhöht den wirtschaftlichen Druck durch neue Stellschrauben noch mehr, Personal und Ausstattung nach finanziellen Gesichtspunkten einzusetzen, anstatt nach den Behandlungsbedürfnissen der Patienten. Die Krankenhäuser erhalten bei Schwankungen im Bereich von bis zu 20 Prozent die gleiche Vorhaltevergütung. Das heißt, wenn ein Krankenhaus mehr Leistungen übernehmen soll, weil eine Nachbarklinik wegfällt, müsste es mindestens 20 Prozent mehr Behandlungen machen, um dafür ausreichend Erlöse zu bekommen. Dafür müsste wohl Personal aus anderen Bereichen abgezogen werden, obwohl dies aus Versorgungssicht überhaupt nicht richtig wäre. Andererseits kann es plötzlich ökonomisch sinnvoll sein, Behandlungen zu senken, damit die Vorhaltefinanzierung gleichbliebe. Für Patienten hieße das längere Wartezeiten bei planbaren Eingriffen.

    Wie könnte man die Probleme grundsätzlich lösen?
    ENGEHAUSEN: Wir sind der Meinung, dass eine Reform nicht rein auf mathematischen Berechnungen nach Bundesvorgabe beruhen sollte, für die dann niemand richtig verantwortlich ist. Vielmehr müsste es Raum für landesspezifische Anpassungen geben, die dann auch von den zuständigen Stellen gut verantwortet und der Öffentlichkeit gegenüber vertreten werden. Grundsätzlich brauchen wir eine verbindlichere Patientensteuerung, um die Menschen bei begrenzten personellen und finanziellen Mitteln bedarfsgerecht ohne Wartezeiten behandeln zu können. Wir müssen die Zahl nicht notwendiger Eingriffe verringern und die Vergütung notwendiger Eingriffe erhöhen, um aus dem jetzigen Hamsterrad herauszukommen. Bei vielen Fällen könnte eine verpflichtende Zweitmeinung helfen. Ein rein technisches Finanzierungssystem auf Basis völlig intransparenter Algorithmen wird die Probleme sicher nicht lösen. Sollte die Krankenhausreform nun vom Bundesrat durchgewinkt werden, müsste eine neue Bundesregierung das Gesetz nachbessern.

    Zur Person: Roland Engehausen ist seit vier Jahren Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, dem Zusammenschluss der Klinikträger. Zuvor war er Vorstandsvorsitzender der Krankenkasse IKK Südwest.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden