Wer CSU-Leute in diesen Tagen nach der Atmosphäre in der Bundestagsfraktion fragt, bekommt ungewöhnlich spontane und klare Antworten. „Die Stimmung ist schlecht. Punkt“, gibt einer unumwunden zu. „Der Unmut ist riesengroß“, sagt ein anderer. Keinen von ihnen drängt es an die Öffentlichkeit. Noch nicht. Aber die Zündschnur vieler Abgeordneter wird immer kürzer. Der Grant, um es bayerisch zu formulieren, richtet sich gegen einen Mann, der in Berlin derzeit lieber nicht gesehen werden will: Georg Nüßlein. Am Freitagnachmittag taucht der CSU-Politiker, gegen den wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und der Steuerhinterziehung ermittelt wird, zumindest schriftlich aus der Versenkung auf. Über seinen Anwalt lässt er alle Vorwürfe zurückweisen. Doch die entscheidende Botschaft für den Moment ist eine andere: Nüßlein legt sein Amt als Fraktionsvize nieder und wird im September nicht mehr für das Parlament kandidieren. Sein Bundestagsmandat will er aber bis dahin behalten.
Georg Nüßlein musste einsehen, dass er keine Chance mehr hatte
Noch vor wenigen Tagen waren die Karriereprognosen für den 51-Jährigen komplett anders ausgefallen. Es galt als ausgemachte Sache, dass Nüßlein im September wieder antritt. Obwohl hier und da Unmut laut wurde, dass er sich arg selten in seinem Stimmkreis Neu-Ulm sehen lasse, war weit und breit niemand in Sicht, der ihm seinen Platz streitig machen würde. In Berlin hat sich der Gesundheitsexperte ein einflussreiches Netzwerk bis hinein in Ministerien aufgebaut und es bis zum stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion von CDU und CSU gebracht. Zuletzt wurde er auch für höhere Ämter, womöglich sogar im nächsten Kabinett, gehandelt. Stattdessen nimmt seine politische Laufbahn im Zwielicht der Masken-Affäre nun ein abruptes Ende. Er musste einsehen, was ein erfahrener CSU-Mann aus der Region unserer Redaktion schon vorher gesagt hatte: „Nüßlein hat nicht die Spur einer Chance, nominiert zu werden.“
Die Parteispitze in München hat sich von Anfang an auffallend wenig Mühe gegeben, dem Abgeordneten den Rücken zu stärken, dem vor gut einer Woche die Immunität entzogen worden war. Seitdem laufen Ermittlungen wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und der Steuerhinterziehung. Es geht um eine Provisionszahlung von 660 000 Euro, die Nüßlein dafür kassiert haben soll, dass er einem hessischen Masken-Hersteller zu einem staatlichen Auftrag verhalf. Seitdem liest sich die Geschichte wie ein Krimi: Hausdurchsuchungen, Verbindungen zu einem Lobbyisten-Netzwerk, eine ominöse Spur nach Liechtenstein.
Der CSU-Politiker soll bei einem Bekannten untergeschlüpft sein
Der CSU-Politiker schlüpfte nach Informationen unserer Redaktion bei einem Bekannten unter. Doch seine Parteifreunde erwarteten Antworten. „Es geht in der Politik um Vertrauen. Das sind schwerwiegende Vorwürfe, da muss natürlich über Konsequenzen gesprochen werden“, sagte etwa der Augsburger Abgeordnete Volker Ullrich. Und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellte Nüßlein ein Ultimatum bis Ende der Woche, um sich zu erklären. Kurz vor dieser Deadline, am Freitag um 16.25 Uhr, verschickte dessen Anwalt eine Mail mit dem Betreff „Unser Mandant: MdB Dr. Georg Nüßlein“.
Darin erklärt er, dem Politiker sei es in schwierigen Tagen gelungen, „dass qualitativ hochwertige Masken in der erforderlichen Stückzahl geliefert werden konnten“. Hierfür habe Nüßleins Beratungsfirma eine Vergütung erhalten. An der Vergabe von Aufträgen oder Vertragsverhandlungen sei er aber nicht beteiligt gewesen. Den Vorwurf der Bestechlichkeit weist der Anwalt mit der Begründung zurück, das Masken-Geschäft habe Nüßleins Tätigkeit als Abgeordneter nicht berührt. Hintergrund: Laut Strafgesetzbuch liegt die Bestechung eines Mandatsträgers nur dann vor, wenn ein Politiker in seiner Funktion als Parlamentarier Geld für eine Gegenleistung fordert oder annimmt.
Es wird bei der juristischen Aufarbeitung also auch darum gehen, wo die Grenze zwischen Mandatsträger und Privatperson verläuft. Schließlich hatte Nüßlein seine guten Beziehungen in Ministerien, die bei den Masken-Deals eine Rolle gespielt haben, vor allem seinem politischen Gewicht zu verdanken.
Auch den Verdacht der Steuerhinterziehung hält der Rechtsbeistand des Abgeordneten für haltlos, da die erbrachte Leistung, für die Nüßlein jene 660.000 Euro Provision erhalten hatte, umsatzsteuerfrei gewesen sei. Der Politiker habe dazu vor der Rechnungsstellung einen steuerlichen Berater zurate gezogen.
Sein Bundestagsmandat will Nüßlein bis zum Ende behalten
Nüßlein geht nicht mehr davon aus, dass sich die Geschehnisse innerhalb von ein paar Wochen aufklären lassen. „Das Ermittlungsverfahren stellt für meine Familie und für meine Partei, die ich fast 20 Jahre mit vollem persönlichen Einsatz im Bundestag vertreten habe, eine ganz erhebliche Belastung dar“, ließ er mitteilen. Deshalb werde er sich nicht mehr um ein Bundestagsmandat bewerben. Bis zum Ende der Legislaturperiode will er aber im Parlament bleiben. Ein sofortiger Rücktritt, so heißt es hinter den Kulissen, könne als Schuldeingeständnis gewertet werden.
Der Fall Nüßlein ist nicht der einzige, der auf die Stimmung in der Unions-Fraktion drückt. Beinahe im Tagesrhythmus geraten Abgeordnete ins Zwielicht. Am Donnerstag wurde die Immunität des Karlsruher CDU-Politikers Axel E. Fischer aufgehoben. Auch hier geht es um Ermittlungen wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Er soll Geld aus Aserbaidschan bekommen und sich als Gegenleistung politisch für die Interessen des dortigen Diktators Ilham Aliyev eingesetzt haben.
Am Freitag berichtete der Spiegel über den Mannheimer CDU-Abgeordneten Nikolas Löbel, der als Unternehmensberater ebenfalls Geld für die Vermittlung eines Masken-Geschäftes eingestrichen hat. Der 34-Jährige räumte zwar Fehler ein, sagte aber auch, bei der Provision von 250 000 Euro habe es sich um eine „nach dem Marktüblichen bemessene Vergütung“ gehandelt.
Zum Auftakt des Superwahljahres sind solche Geschichten Gift. Zudem kommen die beiden CDU-Leute auch noch aus Baden-Württemberg, wo schon am 14. März gewählt wird und die Union ohnehin mit dem Rücken zur Wand steht.
Lesen Sie dazu auch:
- Der Fall Georg Nüßlein und die ominöse Spur nach Liechtenstein
- Fall Nüßlein: Lobbyisten müssen endlich ans Licht der Öffentlichkeit
- Corona-Regeln: Politiker-Fehltritte schaden der Motivation der Bürger