Viele Menschen in Griechenland kennen Eva Kaili noch als Moderatorin des Fernsehsenders Mega-TV. Jetzt flimmert das Gesicht der 44-Jährigen wieder über die Bildschirme – nur in ganz anderem Licht. Eines zeigt sie in Doha im Amtszimmer des katarischen Arbeitsministers Ali bin Samich Al Marri. Auf einem anderen Foto, einem bei Facebook geposteten Selfie, posiert Kaili in der katarischen Wüste mit ihrem Lebensgefährten Francesco Giorgi vor einem Meer aus Sanddünen. „Wenn Du einmal in Katar warst, bist Du ein anderer Mensch“ kommentierte ein Follower. Es waren aus heutiger Sicht prophetische Worte.
Kaili, griechische Europa-Abgeordnete und eine von 14 Vizepräsidenten des Parlaments, und Giorgi sind zwei von fünf Personen, die am Freitag von der belgischen Polizei vorläufig festgenommen wurden. Vorausgegangen waren monatelange Ermittlungen. Am Freitag griffen die Fahnder zu: Bei 16 Durchsuchungen fanden sie große Mengen Bargeld – insgesamt um die 600.000 Euro. In Kailis Brüsseler Wohnung habe man „Taschen voller Geld“ sichergestellt, berichteten belgische Medien. Den Festgenommenen wird „bandenmäßige Korruption und Geldwäsche“ vorgeworfen.
In einer Rede lobte Eva Kaili Katar in den höchsten Tönen
Zu ihrer mutmaßlichen Katar-Connection passt, dass Kaili am 21. November vor dem Europaparlament eine Rede hielt, in der sie dem Emirat eine „historische Transformation“ bescheinigte. Katar sei „führend bei den Arbeitsrechten“, behauptete Kaili. Die WM sei der Beweis, „dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben“. Die Politikerin klagte: „Dennoch rufen einige hier dazu auf, die Katarer zu diskriminieren. Sie schikanieren sie und beschuldigen jeden, der mit ihnen spricht, der Korruption.“ Aus heutiger Sicht wirken diese Worte fast schon kurios.
Kailis politische Karriere begann früh. Mit nur 26 Jahren wurde die studierte Architektin 2004 in den Rat ihrer Heimatstadt Thessaloniki gewählt. Zuvor hatte sie als Fernsehmoderatorin gearbeitet. Vor allem ihrer Popularität auf dem Bildschirm verdankte Kaili 2007 das Angebot der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok), für einen Sitz im Parlament zu kandidieren. Dort war sie bis 2012 Abgeordnete. 2014 wechselte Kaili ins Europäische Parlament.
Die Pasok reagierte schnell auf die Ermittlungen gegen Kaili. Parteichef Nikos Androulakis, ebenfalls Europaabgeordneter, schloss sie aus der Partei aus. Auch die Fraktion der Sozialisten und Demokraten (S&D) im Europäischen Parlament suspendierte die Griechin. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ordnete am Samstag an, dass Kaili alle ihr übertragenen Befugnisse, Pflichten und Aufgaben verliert. Der Forderung, ihr Mandat niederzulegen, kam Kaili aber bisher nicht nach. Das würde den Verlust der Immunität bedeuten. Angesichts der Schwere der Vorwürfe dürfte es aber nur eine Frage der Zeit sein, bis das Europaparlament die Immunität der Abgeordneten aufhebt.
Die Schlüsselfigur im Korruptionsskandal ist offenbar ein Italiener
Kaili ist das Gesicht des Skandals, aber die eigentliche Schlüsselfigur ist offenbar Pier-Antonio Panzeri. Der Italiener war von 2009 bis 2014 sozialdemokratischer Europaabgeordneter und gründete dann die Nichtregierungsorganisation Fight Impunity, die sich gegen Straflosigkeit bei Menschenrechtsverstößen einsetzt. Kailis Lebensgefährte Giorgi war ein enger Mitarbeiter von Panzeri in dessen Abgeordnetenzeit und ist jetzt Berater im Europaparlament. Zu den Festgenommenen gehört auch Luca Visentini, der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes IGB. Auch er hatte vor wenigen Tagen in einem Interview die Verbesserung der Situation der Arbeiter in Katar gelobt.
Das Ansehen des Europaparlaments ist schwer beschädigt. Kailis Karriere ist beendet. Griechenland und Italien stehen – wieder einmal – als Länder da, in denen die Korruption besonders tief verwurzelt scheint. Die Affäre Kaili wirft tatsächlich ein Schlaglicht auf die politische Kultur Griechenlands. Der Journalismus gilt vielen als Sprungbrett ins Parlament und in die Regierung. Wer den Wechsel schafft, hat mit üppigen Abgeordnetendiäten und Pensionsansprüchen ausgesorgt.
In Griechenland wechseln viele Journalisten in die Politik
Allein in der 156 Abgeordnete zählenden Parlamentsfraktion der regierenden konservativen Nea Dimokratia sitzen 13 prominente Journalistinnen und Journalisten. Die Parteien versuchen, die Popularität bekannter TV-Moderatoren und Zeitungskommentatoren zum Stimmenfang zu nutzen. „Ich kann die Angebote der Parteien gar nicht mehr zählen“, berichtet ein prominenter griechischer Kolumnist. Er widersteht der Versuchung bisher. Aber andere Medienschaffende buhlen mit konformer Berichterstattung um die Gunst der Parteien. Es ist eine verhängnisvolle Wechselbeziehung, bei der die Rolle der Medien als „vierte Gewalt“, als Kontrollinstanz der Demokratie, in Gefahr gerät.
Erst vergangene Woche stellten Wissenschaftler bei einem Forum in Athen eine Studie zum Thema Bestechlichkeit vor. Danach sind 85 Prozent der Griechinnen und Griechen der Ansicht, dass die Korruption in der Politik und in den Medien „weit“ oder „sehr weit“ verbreitet ist. Die Causa Eva Kaili liefert einen Beweis dafür.