Für einen Wirtschaftsminister ist es immer ein Problem, wenn die Wirtschaft nicht läuft. Die Wirtschaftsleistung wird nächstes Jahr schrumpfen, wenn Robert Habecks Ökonomen richtig gerechnet haben. Mit einem Minus von 0,4 Prozent wird der Abschwung gering ausfallen, weshalb Habecks anderes Problem gerade wuchtiger erscheint.
Es geht um den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke und damit um die Stabilität des Stromnetzes. Der Vize-Kanzler hatte seiner Partei – den Grünen – den Weiterbetrieb der beiden süddeutschen Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim bis in das nächste Frühjahr hinein vorgesetzt und sie trug es grummelnd mit. Für die aus der Anti-Atom-Bewegung hervorgegangenen Grünen ist das nicht irgendein fauler Kompromiss, sondern eine dicke Kröte, die sie schlucken müssen.
Lindner will in der Energiekrise mehr Kernkraft
Als wäre das nicht unangenehm genug, will die FDP noch mehr. Die Liberalen verlangen, dass die beiden Meiler plus das in Niedersachsen befindliche AKW Emsland weiterlaufen sollen und zwar bis 2024. Am besten wäre es, so sehen es die Liberalen, wenn noch weitere Kernkraftwerke hinzukämen, die erst vor kurzem vom Netz gingen. „In diesem Energiekrieg muss alles ans Netz, was Stromkapazitäten schafft. Die Gründe sprechen für sich – ökonomisch und physikalisch“, forderte FDP-Chef Christian Lindner.
Zu Habecks Unglück versammeln sich die Grünen ab Freitag zum Parteitag in Bonn. Und Pech kommt auch noch dazu. Ausgerechnet die Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg hat öffentlich gesagt, dass es besser sei auf Atomenergie zu setzen, als eingemottete Kohlekraftwerke wieder anzuwerfen.
Als Habeck am Mittwoch danach gefragt wird, bleibt er gelassen. Er habe ein professionelles Verhältnis zum Finanzminister. In den vergangenen Monaten sei gemeinsam viel erreicht worden. „Das werden wir auch in Zukunft.“ Schon säuerlich klang die an Lindner gerichtete Forderung, bei der Nuklearenergie keine Spielchen zu treiben. „Die Zeit läuft uns davon“, mahnte der Minister. „Viel zu wollen und am Ende nichts zu kriegen, scheint mir nicht besonders praxistauglich zu sein.“
Kanzler Scholz verspricht eine Lösung des Streits
Eine Runde im Kanzleramt von Lindner, Habeck und Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte keine Befriedung gebracht. Scholz versuchte am Mittwoch, den Kampf unter seinen wichtigsten Ministern herunterzuspielen. „Sie können sicher sein, dass wir in Kürze damit fertig sind“, erklärte der Kanzler. In der SPD wird der Krach mit der Wahlniederlage der FDP in Niedersachsen erklärt. Lindner müsse sich jetzt stacheliger zeigen und den Grünen Paroli bieten, um den Schmerz nach dem Rausfliegen aus dem Landtag in Hannover zu lindern. Die Sozialdemokraten setzen darauf, dass Lindner ein wenig Zeit gewinnt und vielleicht durch einen kleinen Bonus an anderer Stelle beruhigt wird. Dass die FDP den Atomstreit eskalieren lässt und den Bestand der Koalition gefährdet, glaubt keiner bei den drei Regierungspartnern.
Denn eigentlich haben SPD, Grüne und FDP ein weiteres Großprojekt zu bearbeiten. Ohne die Dämpfung der Energiepreise ist die Wachstumsprognose aus dem Wirtschaftsministerium Makulatur. „Der Druck auf die Unternehmen, der Druck auf die privaten Haushalte ist immens. Wir dürfen nicht zulassen, dass Putin obsiegt“, warnte Habeck. Müssen mehr Unternehmer aufgeben, weil sie Strom und Gas nicht bezahlen können, wird der Abschwung stärker.
Bleiben die Zuschüsse aus, dann würde wahrscheinlich der Preisauftrieb noch heftiger. Nach acht Prozent im laufenden Jahr sagen die Konjunkturdeuter der Regierung für nächstes Jahr eine Inflation von sieben Prozent voraus. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen hingegen mit fast neun Prozent. Der Unterschied ergibt sich, weil die Institute noch nichts Genaues vom 200-Milliarden-Abwehrschirm gewusst haben. Folgt die Wirklichkeit den Annahmen Habecks und seiner Fachleute, dann wird die Wirtschaftskrise eine kurze. Schon 2024 wird wieder Wachstum erreicht, die Inflation fällt deutlich.
Konjunktur im Blick:
Die Bundesregierung erwartet im kommenden Jahr ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung. Das Bruttoinlandsprodukt wird der Herbstprognose zufolge um 0,4 Prozent fallen. Zum Vergleich: Der Corona-Einbruch 2020 betrug 3,7 Prozent. Das laufende Jahr dürfte Deutschland noch mit leichtem Wachstum abschließen. Die Schätzung prognostiziert ein Plus von 1,4 Prozent. Im Frühjahr waren noch 2,2 Prozent erwartet worden. Für das nächste Jahr hatten die Ökonomen des Wirtschaftsministers seinerzeit vorausgesagt, dass die Wirtschaft um 2,5 Prozent zulegen würde. Anders als in den zurückliegenden Rezessionen belastet die Inflation Unternehmen und Verbraucher. Nach acht Prozent in diesem Jahr dürfte die Inflation im kommenden leicht auf sieben Prozent zurückgehen.