Wie geht es der deutschen Wirtschaft?
Schlecht. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für das nächste Jahr einen Abschwung voraus. Der Grund: Die Energiekrise. Die Gemeinschaftsdiagnose lautet auf einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent. Dieses Jahr reicht es noch für ein Wachstum von 1,4 Prozent im Vergleich zu 2021, weil das erste Halbjahr noch ordentlich lief. Interessant ist die Veränderung zur bisherigen Prognose der Ökonomen: Noch im Frühjahr hatten sie erwartet, dass die Wirtschaft im laufenden Jahr doppelt so stark zulegen würde. Und für nächstes Jahr hatten sie sogar ein Plus von 3,1 Prozent unterstellt. "Die krisenhafte Zuspitzung auf den Gasmärkten belastet die deutsche Wirtschaft schwer", heißt es im Gutachten. Bleiben die Prozentzahlen abstrakt, haben die Konjunkturdeuter auch einen konkreten Wert ermittelt. Pro Kopf verlieren die Deutschen durch die Krise 2000 Euro, die sie sonst mehr zum Leben gehabt hätten.
Bleibt die Inflation wuchtig?
Ja, das erwarten die Institute. In diesem Jahr werden die Verbraucherpreise
um 8,4 Prozent zulegen, kommendes Jahr um 8,8 Prozent. Die Preise für Strom, Sprit und das Heizen sind der „entscheidende Kanal, der die deutsche Wirtschaft in die Inflation treiben wird“, sagte Torsten Schmidt vom Essener RWI-Institut bei der Vorstellung der Zahlen. Erst 2024 wird die Teuerung allmählich Richtung angestrebter Zwei-Prozent-Marke zurückgehen. Die rasant anschwellenden Preise führen dazu, dass sich die Leute weniger leisten können, zum Beispiel teure Lebensmittel, den Kinobesuch oder die Fahrt in den Urlaub. Fällt die Nachfrage, nehmen die Unternehmen weniger Geld ein und stellen womöglich Investitionen zurück. In den zurückliegenden Krisen haben die Deutschen noch mehr gespart als zuvor, was die Rezession verschärfte.Kann es noch schlimmer kommen?
Ja. Die Ökonomen haben auch ein Risiko-Szenario durchgespielt, in dem ein kalter Winter auf geringe Einsparungen beim Gasverbrauch trifft. Die Konjunktur würde in diesem Fall abrauschen und das Bruttoinlandsprodukt um 7,9 Prozent fallen. Zum Vergleich: Im ersten Corona-Jahr sank das Bruttoinlandsprodukt um 3,7 Prozent. Auch 2024 hielt der Abschwung an. Während die Unternehmen ihren Gasverbrauch bereits um 20 Prozent gesenkt haben, reagieren die Menschen zu Hause sensibler auf Kälte. Bereits die zurückliegende kühle Woche hat den Verbrauch deutlich nach oben schnellen lassen. "Ohne erhebliche Einsparungen auch im privaten Bereich wird es schwer, eine Gasmangellage im Winter zu vermeiden", warnte der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller.
Was macht Hoffnung?
Anders als in den Krisen der Vergangenheit wird es wohl keinen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit geben. Der Fachkräftemangel lässt den Unternehmen keine andere Wahl. Sie müssen ihr Personal halten, wenn es künftig wieder nach oben geht. "Der Arbeitsmarkt ist weiterhin robust", sagte Konjunkturforscher Stefan Kooths aus Kiel.
Wie sollte die Politik reagieren?
Die Wirtschaftsexperten plädieren dafür, Unternehmen und Verbraucher gezielt zu entlasten und nicht mit der Gießkanne umherzugehen. Meint, Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket waren nicht zielgenau, weil davon auch Leute profitiert haben, die es nicht nötig hatten. Auch die Inflation könnte durch ein großes Staatsprogramm zusätzlich an Tempo gewinnen, warnen die Professoren. "Aus unserer Sicht sollte man die Fiskalpolitik nicht zu expansiv ausgestalten, um die Inflation nicht auszuweiten", sagte RWI-Ökonom Schmidt.
Trägt die deutsche Wirtschaft einen dauerhaften Schaden davon?
Davon gehen die Wissenschaftler aus. "Wir steuern von der Corona-Krise in eine nächste Krise hinein", sagte der Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser. Die Folge: Deutschland verliert an Unternehmen. Während durch die Pandemie Kneipen und Kinos aufgeben mussten, könnten jetzt Bäcker, Papierfabriken und Stahlwerke folgen. Hinzu kommen fehlende Hände wegen der Alterung der Gesellschaft. Dadurch sinkt das Potenzialwachstum, das die Wachstumsrate bei normaler Auslastung der Volkswirtschaft misst. Es liegt mittlerweile bei unter einem Prozent.