Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit seinen Aussagen zum Taiwan-Konflikt international für Aufsehen gesorgt. Aus Deutschland hagelt es Kritik, China hingegen kommen Macrons Äußerungen gelegen. In einer Grundsatzrede in Den Haag ging Macron am Dienstag nicht auf die öffentliche Kritik ein, erneuerte aber seine Forderung nach mehr europäischer Souveränität. Es stellt sich die Frage: Hat der französische Staatschef mit seinem Wunsch nach europäischer Unabhängigkeit über die Stränge geschlagen, ist er schlicht missverstanden worden - oder sucht er die Debatte?
Stein des Anstoßes ist ein am Sonntag veröffentlichtes Interview, das Macron auf dem Rückflug von seinem Staatsbesuch in China gab. Zum Konflikt um Taiwan sagte Macron: "Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema Mitläufer sein sollten und uns an den amerikanischen Rhythmus und eine chinesische Überreaktion anpassen sollten." Demnach wäre es eine Falle für die Europäer, zu einem Zeitpunkt der Klärung der eigenen strategischen Position in fremden Krisen gefangen zu sein. Europa drohe dann Vasall zwischen den USA und China zu sein, obwohl man ein dritter Pol sein könne.
Aus Deutschland erntete Macron dafür deutliche Kritik. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen urteilte gar, Macron scheine von allen guten Geistern verlassen. Er isoliere sich in Europa. Auch aus der SPD und der FDP kam heftige Kritik. Bundesjustizminister Marco Buschmann erwähnte Macron zwar nicht namentlich, schrieb auf Twitter aber, in einer Zeit autoritärer Herausforderung sollten alle Staaten, denen Freiheit und Demokratie etwas bedeute, umso enger kooperieren.
China droht mit Eroberung
Die kommunistische Führung in Peking betrachtet das unabhängig regierte Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung. Seit der russischen Invasion in die Ukraine wachsen die Sorgen, dass China ähnlich militärisch gegen Taiwan vorgehen könnte. Der Konflikt um die demokratische Inselrepublik ist ein zentrales Streitthema zwischen China und den USA. Washington hat sich seit 1979 der Verteidigungsfähigkeit Taiwans verpflichtet, was bisher meist Waffenlieferungen bedeutete.
Der französische Politikwissenschaftler und Taiwan-Experte bei der Fondation pour la Recherche Stratégique, Antoine Bondaz, warf Macron in der Zeitung "Le Point" vor: "Das Timing und der Kontext sind katastrophal. Er kommt aus Peking zurück, hat China nicht einmal kritisiert und schießt auf die USA."
Im Élyséepalast aber will man davon nichts wissen und sieht die Interviewäußerungen auf einer Linie mit bekannten Forderungen Macrons nach europäischer Souveränität. Zudem sei Frankreich nicht gleich weit von den USA und China entfernt. Während die USA ein Verbündeter seien, sei China zwar Partner, aber auch systemischer Rivale. Macron wolle die Stabilität der internationalen Ordnung aufrechterhalten und eine Zunahme von "Risiken" im Taiwan-Konflikt verhindern. Er habe Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping klar gesagt, dass das Thema durch Dialog geklärt werden müsse.
Rede mit Spannung erwartet
Macrons Rede in Den Haag wurde vor diesem Hintergrund mit Spannung erwartet. Die Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hätten erkennen lassen, dass Europa seine Abhängigkeiten verringern müsse, um seine Identität zu erhalten, sagte der Präsident. Souveränität zu verteidigen bedeute, man müsse in der Lage sein, seine Partner zu wählen und das eigene Schicksal zu gestalten. "Das können wir auf kooperative Art tun, die unserem Geist der Offenheit und der Partnerschaft entspricht."
Die Interviewaussagen des französischen Präsidenten passen perfekt in das Weltbild der kommunistischen Führung in Peking. Besonders im Konflikt um Taiwan ist es China wichtig, einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben. Ein chinesischer Militäreinsatz gegen Taiwan würde massive internationale Sanktionen gegen China auslösen, die von den Europäern mitgetragen werden müssten. Auch will China verhindern, dass die USA den Taiwanern sogar mit Truppen zur Hilfe kommen - da wäre es hilfreich, wenn die Unterstützung in Europa wackelt.
China blickt zudem durch die Brille seiner geostrategischen Rivalität mit den USA auf die Welt. Ständig fordert es mehr Autonomie und Unabhängigkeit Europas, denn indem Europa gegen seinen Bündnispartner USA aufgewiegelt wird, will Peking die vom Westen gestützte regelbasierte Weltordnung schwächen und seinen Einfluss ausweiten. Da werden Macrons Äußerungen geradezu gefeiert.
Für Macron ist es bei weitem nicht das erste Mal, dass er mit seinen Aussagen aneckt: Kritik fuhr er etwa ein, als er der Nato 2019 den "Hirntod" attestierte, und auch als er vergangenen Sommer sagte, man solle Russland nicht demütigen, um nach einem Ende der Kämpfe in der Ukraine auf diplomatischem Weg einen Ausweg schaffen zu können. Doch möglicherweise ist das Strategie und Frankreichs Staatschef will mit überspitzten Aussagen eine Debatte anregen. Seine Nato-Kritik verteidigte er vergangenes Jahr jedenfalls mit dem Argument, mit ihr eine strategische Überlegung über die Funktionsweise des Bündnisses angestoßen zu haben.
(Von Rachel Boßmeyer und Andreas Landwehr, dpa)