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Russland: Konflikt in Mali: Putins Vasallen in der Sahara

Russland

Konflikt in Mali: Putins Vasallen in der Sahara

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    Mittlerweile wehen russische Flaggen in der malischen Hauptstadt Bamako. Sie gehören zu den Verkaufsschlagern der Straßenhändler der Metropole.
    Mittlerweile wehen russische Flaggen in der malischen Hauptstadt Bamako. Sie gehören zu den Verkaufsschlagern der Straßenhändler der Metropole. Foto: Christian Putsch

    Sein Zimmer ist karg eingerichtet. Eine kaputte Klimaanlage, Teppiche und ein Stapel Bücher. In der Ecke noch eine dünne Matratze. Auf ihr liegt der Imam Ibrahim, ein stattlicher Mann mit einem blauen Umhang. Den Blick am abblätternden Putz der Decke, die Gedanken bei den Schüssen, den vielen Toten. Und der Frage, warum er überlebt hat. Warum die Soldaten ihn verschont haben.

    Ibrahim, 40, arbeitete als Koranlehrer in der lange von Islamisten besetzten Kleinstadt Moura im Zentrum des Landes. Er hat Angst. Vor Malis Militärjunta. Und den Terroristen, vor denen er in die Mietwohnung in der 500 Kilometer entfernten Hauptstadt Bamako mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern geflüchtet ist. Sein richtiger Name darf deshalb nicht veröffentlicht werden. Aber er will erzählen, was er gesehen hat.

    Malis Armee tötete im März 300 Menschen

    In Moura tötete Malis Armee zusammen mit Mitgliedern der berüchtigten Gruppe Wagner – einem privaten russischen Sicherheits- und Militärunternehmen – im März rund 300 Menschen, darunter viele Zivilisten. Das haben auch Menschenrechtsorganisationen längst berichtet. Minusma, die seit 2013 laufende UN-Friedenstruppe in Mali, wollte ermitteln. Malis Behörden lehnten das aber ab. Bei der Allianz Malis mit dem Kreml verbittet man sich inzwischen jede Einmischung.

    Fast ein Jahrzehnt hatte Frankreich den Anti-Terror-Kampf der internationalen Gemeinschaft in Mali angeführt. Doch dann putschte sich 2021 das Militär an die Macht. Sowohl in Frankreich als auch in Mali wuchs Widerstand gegen den Kampfeinsatz. Seit Anfang des Jahres läuft der Abzug, in dieser Woche verließen die letzten französischen Soldaten die ehemalige Kolonie.

    Spannungen zwischen UN-Friedensmission und Regierung in Mali

    Zwar befinden sich in Mali weiterhin rund 1000 deutsche Blauhelm-Soldaten – als der Teil der UN-Friedensmission Minusma. Doch nach Spannungen mit der malischen Regierung – sie hatte der Bundeswehr Überflugsrechte über Mali gestrichen – war die Arbeit der deutschen Blauhelme ausgesetzt worden, ohne dass die Einsatzkräfte allerdings abgezogen wurden. Erst jetzt werde der „operative Beitrag“ wieder fortgesetzt, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos am Dienstag in Schwielowsee bei Potsdam. Nach Mali eingeflogene deutsche Gebirgsjäger beteiligen sich nun etwa an der Sicherung des Flughafens der Stadt Gao, wo das zentrale Feldlager der UN-Mission steht. Doch der Abzug der Franzosen als bisheriger Hauptakteur der westlichen Intervention wiegt schwer.

    In dieses französische Vakuum ist umgehend der Kreml mit einer Vehemenz gestoßen, die nur auf den ersten Blick überrascht: Jede zweite nach Afrika gelieferte Waffe stammt aus Russland. 20 Militärabkommen hat Wladimir Putin seit dem Jahr 2015 mit afrikanischen Ländern abgeschlossen, das mit Mali ist am wichtigsten.

    Im Land werden Rohstoffe abgebaut

    Der Kreml will sich dort als die bessere Alternative zum Westen präsentieren. Und seine nach dem Kalten Krieg verloren gegangene Geltung auf dem Kontinent wiederbeleben. In Mali geht es aber auch um Rohstoffe. Das Land ist der drittgrößte Goldförderer Afrikas – nach Südafrika und Ghana. Zudem wird dort Uran abgebaut. Auch militärstrategisch ist das Land interessant. Rund 1000 russische Kämpfer sollen dort laut Einschätzung westlicher Beobachter im Einsatz sein, die meisten davon Söldner der Wagner-Gruppe.

    Die Schilderungen des Augenzeugens Ibrahim geben einen erschreckenden Einblick: in den Terror der erstarkenden Milizen, die Verbindungen zu Al-Qaida und dem Islamischen Staat (IS) haben. Aber auch in das Vorgehen der Wagner-Söldner.

    Imam Ibrahim erlebte das Massaker von Moura mit - und überlebte nur durch ein Wunder.
    Imam Ibrahim erlebte das Massaker von Moura mit - und überlebte nur durch ein Wunder. Foto: Christian Putsch

    Ibrahim sitzt jetzt auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Er spricht leise, der Schmerz der Erinnerung dämpft die Stimme. Er habe eine gemäßigte Version des Sunnismus gepredigt, sagt er, die Trennung von Religion und Staat unterstützt, neben dem Koran auch andere Fächer unterrichtet.

    Im Jahr 2015 sei die Stadt dann von Islamisten der Al-Qaida-Miliz „Nusrat al-Islam“ besetzt worden. Sie hätten im Ort Scharia-Gesetze eingeführt: keine Musik, kein Fußball, Vollverschleierung für die Frauen. „Jeder, der sich ihnen widersetzt hat, wurde mindestens geschlagen“, sagt der Imam. Einen seiner Brüder hätten sie getötet.

    Moura wurde zur wichtigen Logistikstation der Terroristen. Es musste etwas geschehen, sagt Ibrahim. Aber was dann kam, war noch schlimmer: Am 27. März, einem Sonntag, war er auf dem Marktplatz, als dort drei Armeehubschrauber zur Landung ansetzten. Die Islamisten hätten zuerst geschossen, erzählt er, ein Hubschrauber habe das Feuer „wahllos“ erwidert, zahlreiche Zivilisten seien getötet worden.

    Russland lieferte Kampfjets an Mali

    Nach der Landung war das Dorf umzingelt worden, erzählt Ibrahim. Aus dem Helikopter seien einige malische Soldaten gestiegen, dazu deutlich mehr Soldaten weißer Hautfarbe, sagt der Imam. „Sie haben weder Französisch noch Englisch gesprochen. Ich kannte ihre Sprache nicht, ich glaube, es war Russisch.“

    Es begann eine Art Belagerung. Drei Tage später sollten alle Bewohner aus den Häusern kommen. Ausweiskontrolle. „Sie haben die Ausweise gar nicht angeschaut, sondern uns in Gruppen von jeweils fünf bis sieben Personen aufgeteilt“, sagt der Imam. Einige dieser Gruppen seien dann etwa 100 Meter weit weggeführt worden, die Soldaten hätten die Männer erschossen. Es sei pures Glück, dass er überlebt habe. Er sei schlicht in einer Gruppe gelandet, die nicht hingerichtet worden sei. Unter den Getöteten seien einige Terroristen gewesen, aber deutlich mehr Zivilisten, so der Mann. Am Folgetag habe er elf Menschen begraben, einige davon seien Freunde gewesen. „Das waren keine Islamisten“, sagt er. Ähnlich äußerten sich zahlreiche weitere Augenzeugen, die in einem Bericht der Vereinten Nationen erwähnt werden.

    In Mali bekommt man davon wenig mit. Den meisten Journalisten wurde die Akkreditierung entzogen, französische Nachrichtenseiten gesperrt. Stattdessen werden Kreml-freundliche Botschaften verbreitet. Anfang August lieferte Russland medienwirksam fünf Kampfjets an Malis Armee. Einer der Jets landete kurz darauf in Gao, wo die meisten der 1000 deutschen Bundeswehrsoldaten stationiert sind.

    Die Deutschen vermeldeten laut Spiegel Online die Sichtung von „20 bis 30 Personen in militärischen Uniformen“ auf dem Flughafen Gao. Es seien „nahezu sicher“ Angehörige der russischen Sicherheitskräfte. Wegen des Zusammenhangs mit der Lieferung einige Tage zuvor ist es wahrscheinlich, dass es sich diesmal um offizielle russische Soldaten – und nicht Söldner – handelt.

    2022 entwickelt sich zum tödlichsten Jahr der Sahel-Krise

    Zuletzt war es auch in der Nähe der Hauptstadt Bamako zu Anschlägen gekommen. Junta-Chef Assimi Goïta spielt das als Todeszuckungen der Terrorgruppen herunter. Dabei resümieren die Datensammler der Organisation „Armed Conflict Location & Event Data Project“ (ACLED): „2022 ist auf dem Weg, sowohl für Burkina Faso als auch für Mali das tödlichste Jahr seit Beginn der Sahel-Krise vor mehr als einem Jahrzehnt zu werden.“

    In Bamako bittet einer der einflussreichsten Aktivisten des Landes zum Gespräch in sein Wohnzimmer. Siriki Kouyate, 39, ist ein Mann mit Vorliebe für knallige Farben – das Hemd ist gelb, die Zimmerdecke rosa – und einer der wichtigsten Fürsprecher des Kremls in Mali. Vor gut zwei Jahren gehörte er zu den Gründern der pro-russischen Organisation „Yerewolo“, die mit Kundgebungen gegen Frankreich mobilisierte. Und die nun immer vehementer auch den Abzug der UN-Blauhelme fordert. Diese seien weder in der Lage, die Bevölkerung zu schützen – noch sich selbst. Absurde Behauptungen, erst Anfang August wurden 22 malische Soldaten nach einem Anschlag von der Bundeswehr evakuiert.

    Doch Kouyate will Yerewolo für die Wahlen im Jahr 2024 zur Regierungspartei machen und setzt weiter auf anti-westliche Parolen. Seine Organisation sei weder von der Militärjunta noch Russland finanziert, behauptet er, räumt aber ein, dass sich auch zahlreiche Militärs der Bewegung angeschlossen hätten. Entsprechend verkauft der ehemalige Radio-Moderator die russisch-malische Allianz als Erfolgsgeschichte: „Zuvor hat der Islamische Staat ganze Dörfer eingenommen, jetzt gibt es keine Gruppe mehr, die sich der Armee widersetzen könne.“

    Macron kritisiert russische Afrika-Politik

    Malis Generäle fahren derweil schwere rhetorische Geschütze in Richtung Frankreich auf, ganz im Sinne des Kremls, dessen Afrika-Politik von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt stark kritisiert wurde. Frankreich habe Malis Luftraum dutzende Male verletzt und „Informationen gesammelt, von denen terroristischer Gruppen profitierten“, behauptete Malis Außenminister Abdoulaye Diop in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat.

    Der Kontrast zu Frankreichs gefeierter Ankunft in Mali im Jahr 2013 könnte nicht größer sein. Damals drängten französische Truppen Islamisten und Rebellen zurück, die sich Bamako genähert hatten. „Der Vorname Francois gehörte plötzlich zu den populärsten Vornamen für neugeborene Babys“, erzählt ein malischer Journalist – zu Ehren des damaligen französischen Präsidenten Hollande. Ihm jubelten die Menschen seinerzeit bei einer Mali-Reise auf den Straßen zu.

    Die Zeiten haben sich wahrlich geändert. Heute wehen dort russische Flaggen. Sie gehören zu den Verkaufsschlagern der Straßenhändler.

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