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Kommentar: Zum "Tag der Pressefreiheit": Alles ganz normal?

Kommentar

Zum "Tag der Pressefreiheit": Alles ganz normal?

Daniel Wirsching
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    Tritte, Faustschläge, Steinwürfe gegen Medienschaffende in Deutschland: "Reporter ohne Grenzen" konnte für das vergangene Jahr 41 Übergriffe verifizieren.
    Tritte, Faustschläge, Steinwürfe gegen Medienschaffende in Deutschland: "Reporter ohne Grenzen" konnte für das vergangene Jahr 41 Übergriffe verifizieren. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Man muss nicht nach China oder Russland blicken, um zu sehen, wohin es führt, wenn Pressefreiheit nichts mehr gilt oder eingeschränkt wird. Blickt man zum "Tag der Pressefreiheit" an diesem 3. Mai auf Deutschland, sieht man ebenfalls Beunruhigendes. Es gilt, den Blick darauf zu schärfen. 

    Und zwar nicht nur den auf das Offensichtliche, auf die etwa von "Reporter ohne Grenzen" für das vergangene Jahr verifizierten 41 Übergriffe auf Medienschaffende, auf die Tritte, Faustschläge, Steinwürfe gegen sie. Alarmierend ist gleichermaßen ein anderer, schwerer greifbarer Befund der Nichtregierungsorganisation: In Deutschland habe sich "in den letzten Jahren eine immer pressefeindlichere Stimmung ausgebreitet". Einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) zufolge gibt fast die Hälfte der Bevölkerung an, dass die freie Presse hierzulande gefährdet ist.

    Normalisierung kann zur Bedrohung der Pressefreiheit werden – und ist es bereits

    Geht es um Pressefreiheit, muss es auch und deutlich intensiver um "Normalisierung" gehen, einen derzeit häufig genutzten Begriff – zum Beispiel im Zusammenhang mit der AfD. "Normal" ist eines jener Wörter, die unscheinbar klingen, es jedoch keineswegs sind. Das lässt schon die Duden-Erklärung erahnen: "so (beschaffen, geartet), wie es sich die allgemeine Meinung als das Übliche, Richtige vorstellt". Es ist ein in Deutschland zu beobachtender Prozess der

    Normalisierung ist, wenn Medienschaffenden statt sachlicher Kritik verstärkt der "Fake News"-Vorwurf entgegengeschleudert wird, also die verleumderische Behauptung, sie würden in manipulativer Absicht Falschmeldungen verbreiten. Wenn Wörter wie "Haltung" zu Schimpfwörtern ("Haltungsjournalismus") umgedeutet werden und so die öffentliche Debatte vergiftet, gar verunmöglicht wird. Wenn Kampfbegriffe wie "Staatsfunk", "Lügenpresse" oder "Mainstreammedien" zum Alltagswortschatz offensichtlich vieler gehören und nichts anderes bedeuten als eine Abwertung und Delegitimierung eines seriösen, unabhängigen Journalismus. Wenn die viel zitierte "Grenze des Sagbaren" beständig weiter verschoben wird und "aus Worten Taten werden". Wenn ein "soziales" Medium wie X eines Milliardärs mit Hang zu Verschwörungserzählungen zur Meinungsmüllhalde verkommt. Wenn ein "rechtspopulistisches Agitationsformat mit journalistischem Anstrich", so Politikwissenschaftler Markus Linden über "NiUS", Stimmungsmache betreibt ... – und all das zunehmend als normal erscheint, als üblich eben, möglicherweise als richtig.

    Wenn der rechtsextreme Thüringer AfD-Chef Höcke über Gehacktes referiert

    Und ja, zu einer Normalisierung trägt auch bei, wenn im Privatsender Welt Thüringens rechtsextremer AfD-Chef Björn Höcke über "Gehacktes Brötchen" referiert. Oder wenn Caren Miosga in ihrem ARD-Talk im 25-minütigen Einzelgespräch mit dem Bundessprecher der in Teilen vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuften AfD, Tino Chrupalla, darüber smalltalkt, ob sein Vater stolz auf ihn sei und ob dieser eigentlich Malermeister war (war er nicht).

    Normalisierung, wie hier beschrieben, und pressefeindliche Stimmung sind eng miteinander verknüpft. Rechtsextreme oder Medien, die längst nicht mehr nur den äußersten rechten Rand bedienen, haben ein großes Interesse an beidem. Ein seriöser Journalismus reagiert darauf am besten, indem er seine Arbeit gut, verantwortungsvoll und möglichst transparent macht. Der Staat muss reagieren, indem er Medienschaffende vor Tritten ebenso schützt wie vor Hassrede; indem er Medien Rahmenbedingungen garantiert, die deren Existenz sichern helfen. Und Politikerinnen und Politiker? Sollten sich ihrer Verantwortung für die öffentliche Debatte bewusster werden. Und beispielsweise eine Plattform wie "NiUS" nicht durch Auftritte aufwerten und – normalisieren.

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