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Kommentar: Zu wenig Regen, Gas und Getreide: Essen wird zum Luxusgut

Kommentar

Zu wenig Regen, Gas und Getreide: Essen wird zum Luxusgut

Stefan Lange
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    Ein gefüllter Einkaufskorb könnte für viele Menschen bald unbezahlbar sein.
    Ein gefüllter Einkaufskorb könnte für viele Menschen bald unbezahlbar sein. Foto: Felix Kästle, dpa

    Die Lage auf dem Lebensmittelmarkt spitzt sich zu. Angesichts der vielen Hiobsbotschaften möchte einem der Bissen im Halse stecken bleiben – wenn man denn überhaupt noch einen zu bezahlbaren Preisen findet. Letzteres ist ein wenig übertrieben und wer jetzt schon wieder über die nächste Sonnenblumenölhamstertour nachdenkt, dem sei gesagt: Es ist noch genug von allem da. Jeder Einkauf, der über eine normale Bevorratung hinausgeht, ist unnötig und peinlich. Das wird auch so bleiben, Hungern müssen die Menschen in Deutschland und Europa nicht. Lebensmittel jedoch werden deutlich teurer, bestimmte Waren werden für Menschen mit schmalem Geldbeutel nicht mehr zu bezahlen sein.

    Gunststandort, auch Gunstregion, ist das Zauberwort. Europa verfügt über viele Gegenden mit fruchtbaren Böden, die für Ackerbau gut geeignet sind und reiche Ernten hervorbringen. Die Ukraine mit ihren Schwarzerde-Böden ist ein gutes Beispiel. Dort können mit nur geringem Einsatz von Pflanzenschutz- oder Düngemitteln sehr gute Erträge erzielt werden. Das Land war unter anderem deswegen eine der wichtigsten europäischen Kornkammern. Bis der Krieg ausbrach und alles zunichte gemacht hat.

    Hunger treibt Menschen in die Flucht

    Deutschland spürt diesen Ausfall bereits, kann ihn als eine der reichsten Industrienationen der Welt aber ausgleichen. Was hier knapp ist, wird einfach woanders eingekauft. Dabei muss aber klar sein: Was in Deutschland gegessen wird, fehlt den Menschen in ärmeren Ländern auf dem Teller. In Afrika und in vielen Teilen Asiens gibt es nicht genug Geld, um bei den gestiegenen Weltmarktpreisen mitzuhalten. Die Menschen sind oft ohnehin schon von Dürre und Unterernährung betroffen, vielen wird als Ausweg nur die Flucht bleiben. Nach Europa, nach Deutschland zum Beispiel.

    Die Auswirkungen der Lebensmittelknappheit hat damit gesellschaftliche Auswirkungen, die über den Sonntagsbraten weit hinausgehen. Die Fluchtbewegung 2015/2016 inklusive der heftigen Debatten ist allen noch in guter Erinnerung. Sie träfe auf ein Deutschland, das sich womöglich aus der Corona-Pandemie befreit hat, dafür aber mit explodierenden Energiepreisen kämpft. Auch hier gibt es fatale Zusammenhänge. Wenn das Gas absehbar noch mehr kostet, erhöht das nicht nur die Produktionskosten beim Brotbacken oder beim Eintopfkochen für die Konserve. Die Papierfertigung, ohnehin schon immens im Preis gestiegen, legt in der Folge weiter zu. Ohne Papier jedoch keine Verpackungen, das treibt die Lebensmittelpreise weiter. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Hinzu kommt die anhaltende Trockenheit. Die Ernten sind gefährdet, der Transport per Schiff ist wegen sinkender Pegelstände nicht möglich. Neueste Zahlen des Ifo-Instituts zeigen, wo die Reise hingeht: Nahezu alle Unternehmen im Nahrungsmittel-Einzelhandel (94 Prozent) planen, ihre Preise in den kommenden drei Monaten zu erhöhen.

    Bewusster einkaufen und essen: weniger Verpackungen, weniger Fleisch

    Und die gute Nachricht? Es gibt gerade keine, allenfalls die Hoffnung, wie sie einst Václav Havel definierte: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht." Sinn würde es jetzt machen, sich von den globalen Lieferketten zu befreien und wieder beim Regionalvermarkter einzukaufen. Weniger Verpackung wäre sinnvoll, weniger Fleischkonsum – die Mittel sind alle bekannt, vielleicht werden sie jetzt, unter dem Druck der Ereignisse, endlich konsequent umgesetzt.

    Wenn nicht, kommt gutes Essen in Zukunft nur noch bei reichen Menschen auf den Tisch. An die Ärmsten in der Gesellschaft hingegen verteilt der Staat Lebensmittelgutscheine für das Notwendigste. Wer wenig hat, isst schlechter? Das schien im Nachkriegsdeutschland bisher undenkbar. Es wird jedoch gerade Realität.

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