Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar zu US-Präsident Bidens neuem TV-Auftritt: ein fast fehlerfreier Tag

Kommentar

Joe Bidens beunruhigend guter Tag

    • |
    • |
    US-Präsident Joe Biden spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Sherman Middle School in Madison, Wisconsin.
    US-Präsident Joe Biden spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Sherman Middle School in Madison, Wisconsin. Foto: Morry Gash/AP/dpa

    Er hat es geschafft. Joe Biden hat einen fast fehlerfreien Tag hingelegt. Im Bundesstaat Wisconsin las der Präsident am Freitag bei einer Kundgebung eine Rede ohne größere Versprecher vom Teleprompter ab. Danach ließ er beim Fernsehsender ABC ein 22-minütiges Interview aufzeichnen, das abends gesendet wurde. Der 81-Jährige wirkte wach und konzentriert, er hatte eine gesunde Gesichtsfarbe und sprach kraftvoll.

    Bidens Performance war um Längen besser als sein von Versprechern und mentalen Aussetzern gezeichneter Live-Auftritt im TV-Duell mit Donald Trump eine Woche zuvor. Damals hatten Beobachter von einem „Desaster“ gesprochen. Insofern lag die Latte ziemlich niedrig. Dieses Mal generierte der Präsident sogar eine Eilmeldung der Nachrichtenagentur AP. Allerdings betraf die kein politisches Vorhaben. Die „Breaking News“ lautete vielmehr: „Biden schließt ein Ausscheiden aus dem Rennen komplett aus.“

    Ein Interview? Eher die Anhörung eines netten Opas

    Tatsächlich ist das eine höchst beunruhigende Nachricht. Das Interview wirkte nämlich eher wie die Anhörung eines netten Opas, der nach einer Slalomfahrt seinen Führerschein behalten will, als wie ein Kreuzverhör zur politischen Agenda des Mannes, der in den nächsten vier Jahren die mächtigste Nation der Welt leiten und den Atomkoffer hüten will. Ein ums andere Mal beteuerte Biden, er habe einfach eine „schlechte Nacht“ und eine „böse Erkältung“ gehabt. Insgesamt aber sei er „in guter Verfassung“, attestierte er sich selbst. Einen neurologischen Test lehnte er ab. Schließlich könne man jeden Tag sehen, was er leiste.

    Die Argumentation ist ebenso selbstgerecht wie gefährlich. Biden hat nämlich eine lange Geschichte von Patzern und Versprechern. Inzwischen berichten Menschen aus seinem engen Umfeld, dass diese Probleme in den vergangenen Monaten zugenommen haben. Die Alterung lässt sich nicht zurückdrehen. Auf Dauer kann der demokratische Präsidentschaftskandidat im Wahlkampf nicht immer vom Teleprompter ablesen oder Interviews aufzeichnen lassen. Es wird nicht lange dauern, bis er vor laufenden Kameras wieder ins Schleudern gerät. Nach den Täuschungen durch das Weiße Haus in der Vergangenheit dürfte das nun niemand mehr als Patzer abtun.

    Nochmal ins Weiße Haus? Dreiviertel aller Amerikaner halten Biden für zu alt

    Wie unter einem Brennglas werden ab jetzt jeder Auftritt und jede Rede des Kandidaten beobachtet und seziert werden. „Millionen Amerikaner fragen sich: Ist er geistig fit für das Amt?“, kündigte der Sender ABC das Interview an. Eine schockierende Frage angesichts der mentalen Verfassung seines Herausforderers Donald Trump. Politische Inhalte treten komplett in den Hintergrund. Dieses Rennen kann Biden nicht gewinnen.

    Mit seinem jüngsten Auftritt mag er überzeugte Demokraten davon überzeugen, dass er seinen Job im Oval Office derzeit vollumfänglich bewältigt. Aber er hat kaum die Zweifel von Wechselwählern zerstreut, ob dieser greise Mann in viereinhalb Jahren mit 86 Jahren nachts um drei Uhr noch die richtige Entscheidung fällt, wenn ein plötzlicher Krisenfall eintritt.

    Und diese Zweifel sind groß: Dreiviertel aller Amerikaner halten Biden für zu alt. Regelrecht erschreckend ist, wie der offensichtlich gekränkte Präsident vor diesem Hintergrund jedes Hinterfragen seiner Kandidatur als persönlichen Angriff wertet und sich selbst wohlmeinender Kritik verschließt. Seine katastrophalen Umfragewerte? „Die glaube ich nicht.“ Besorgte Wähler, die fürchten, er werde dem Möchtegern-Diktator Donald Trump unterliegen? „Ich glaube nicht, dass jemand besser qualifiziert ist zu gewinnen als ich.“ Bedenken in der Kongress-Fraktion, wo ihn immer mehr Abgeordnete zum Rückzug drängen? Kümmern ihn nicht. Und wenn die versammelten Parteigranden vertraulich auf ihn einreden würden? „Das wird nicht passieren.“

    Bei Wahlen geht es um Zukunft – da ist Biden nicht mehr der richtige

    Biden, so scheint es, hat sich mit seiner Familien und den engsten Vertrauen in einer regelrechten Wagenburg eingemauert. Er, der lebenslang Unterschätzte, empfindet die Aufforderungen zum Rückzug offensichtlich als Missachtung seiner in der Tat beachtlichen innen- und außenpolitischen Leistungen. Es kränkt ihn, dass die Öffentlichkeit seine charakterliche Überlegenheit gegenüber dem Serien-Lügner Trump nicht anerkennt. Deshalb will er nicht von der Bühne abtreten.

    Doch bei Wahlen werden weder Haltungsnoten verteilt noch die Leistung der Vergangenheit belohnt. Es geht um die Zukunft. Und für die ist Biden in den Augen einer Mehrheit der Amerikaner - vor allem in den entscheidenden Swing States - nicht mehr der richtige Mann. Viel Zeit für einen Kandidatenwechsel bleibt den Demokraten nicht. Wenn der Präsident nicht sehr bald in sich geht oder von engen Vertrauten zur Einsicht gebracht wird, könnte er als der Mann in die Geschichtsbücher eingehen, der 2020 die USA von Trump befreit und sie ihm 2024 auf dem Silbertablett serviert hat.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um Kommentieren zu können müssen Sie angemeldet sein

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden