Die konservative Dreifaltigkeit ist so deutsch wie die Mülltrennung und das Reinheitsgebot. "Ein Konservativer", sagt Harald Schmidt, der große Spötter, "hat die Bibel, Goethe und ein Sparbuch."
Konservativ zu sein ist in der Politik zu etwas Unappetitlichem verkommen
Christliche Werte, eine humanistische Bildung und eine gewisse finanzielle Solidität: Dahinter kann jeder, der sich konservativ nennt, seinen Haken setzen. Im politischen Meinungskampf aber ist das Konservative zu etwas Unappetitlichem verkommen. Im günstigsten Falle klingt es nach behäbigem Traditionalismus, nach einem antiquierten Frauenbild und einem übersteigerten Gefühl für Sicherheit. Im ungünstigsten Fall landet man bei den Konservativen der Weimarer Republik, den Deutschnationalen und Antidemokraten.
So gesehen ist es kein Zufall, wenn der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst sagt, das Konservative sei nie der Markenkern der CDU gewesen. Wer will im 21. Jahrhundert schon wie einer von gestern klingen?
Ein moderner Konservativismus bewahrt nicht um jeden Preis den Status quo
Trotzdem müssen CDU und CSU bei den gerade laufenden Arbeiten an ihren Parteiprogrammen die Frage beantworten, was es heute denn heißt, konservativ zu sein. Ein moderner Konservativismus bewahrt ja nicht um jeden Preis den Status quo, wie es seinen Protagonisten gerne unterstellt wird, sondern er versucht Bestehendes zu verbessern, behutsam, aber konsequent. "Es könnte keinen größeren Irrtum geben", betonte 1845 schon sein geistiger Vater Edward Burke vor dem britischen Unterhaus, "als anzunehmen, eine konservative Regierung bedeute eine unbewegliche Regierung."
Konservative Politik verändert nicht radikal, sondern mit Augenmaß – aber auch sie verändert. Anders als früher akzeptiert sie heute, dass eine große Industrienation wie Deutschland ein gewisses Maß an Einwanderung braucht, aber sie öffnet die Schleusen nicht für alle und jeden. Sie akzeptiert neue Lebenswirklichkeiten und Familienmodelle, aber sie leitet daraus keine Identitätspolitik ab, in der Gendersterne, Frauenquoten oder Toiletten für Transmenschen Ausweise von Fortschrittlichkeit sind. Und sie akzeptiert den Klimaschutz als großes gesellschaftliches Ziel, ohne diesen aber mit immer neuen Verboten erzwingen zu wollen. Sie ist nicht ordoliberal, aber sie steht fest auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft.
Konservative Politik macht Veränderung verkraftbar
Das klingt, zunächst einmal, nach einem unverbindlichen Sowohl-als-auch. Tatsächlich jedoch steckt in diesem ausgleichenden, stärker auf den Einzelnen achtenden Bild von Politik auch eine Chance, weil sie die Menschen nicht vor vollendete Tatsachen stellt, sondern Veränderung verkraftbar macht. Konservativ zu sein, befand schon Franz Josef Strauß, "bedeutet, an der Spitze des Fortschritts zu sehen." Heute dagegen betonen auch stramme Konservative wie CDU-Chef Friedrich Merz lieber die beiden anderen Wurzeln ihrer Partei neben dem Konservativen, nämlich die christliche Soziallehre und das Liberale. Oder sie umschreiben "konservativ" mit "bürgerlich", was allerdings nicht das Gleiche meint. Im Lager der Bürgerlichen steht schließlich auch die FDP, die alles ist, aber keine konservative Partei.
Unter Angela Merkel hat die CDU sich schleichend sozialdemokratisiert und auch die CSU vom Ende der Wehrpflicht bis zum Mindestlohn manche tradierte Position geräumt. Beide Parteien sind so in unterschiedlichem Tempo dem Zeitgeist gefolgt, anstatt ihn mitzuprägen. Die "konservative Revolution", die Alexander Dobrindt 2018 ausgerufen hat, lässt daher noch auf sich warten. Wenn sie denn überhaupt noch kommt.