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Kommentar: Putin beendet Europas Selbsttäuschung in der Außenpolitik

Kommentar

Putin beendet Europas Selbsttäuschung in der Außenpolitik

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    Neue, alte Tischsitten: Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verhandeln über die Ukraine.
    Neue, alte Tischsitten: Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verhandeln über die Ukraine. Foto: Mikhail Klimentyev/Russian President Press Office/Sputnik/dpa

    Sie ist wieder da. Oder besser gesagt, sie war nie weg. Die Europäer hatten sich das nur eingebildet nach dem Untergang der Sowjetunion vor drei Jahrzehnten. Der russische Präsident Wladimir Putin hat in den letzten Wochen diese Illusion zerstört. Er betreibt Großmachtpolitik mit ihren klassischen Zutaten – Kriegsdrohungen, das Definieren von Einflusszonen, die Kontrolle von Rohstofflieferungen und abhängige Pufferstaaten.

    Es ist das ganze hässliche Arsenal der Außenpolitik, das der Westen nach der Niederlage des Kommunismus einmotten wollte. An seine Stelle sollten Regeln, Handel und Verträge treten. Kurz: Die Stärke des Rechts, statt das Recht des Stärkeren. Gerade für die Europäer klang das verheißungsvoll, die als mittlere Mächte für das große Spiel des Weltgeschicks nicht mehr genügend Gewicht aufbrachten. Besonders verheißungsvoll klang es für die Deutschen. Die Barbarei des Nationalsozialismus hat die Härte in der

    Die USA definierten weiter ihre Einflusszonen

    Die neue Weltordnung hatte natürlich einen blinden Fleck. Sie gedieh unter dem Schutz der Vereinigten Staaten von Amerika und ihres Militärs. Die USA nahmen weiterhin selbstverständlich für sich in Anspruch, Einflusszonen zu definieren. Letztlich war das Westeuropa seit 1945. Diese Einflusszone wurde ab Mitte der 90er Jahre auf Osteuropa ausgedehnt. Für die Länder bedeutete das einen Gewinn – die Einbindung in die wirtschaftliche Sphäre des Westens hat – nach rauen Anfangsjahren – den Wohlstand deutlich wachsen lassen. Die Kosten für die Verteidigung gingen entgegengesetzt dazu deutlich zurück.

    Die brennenden Zwillingstürme des World Trade Centers in New York markieren das Ende der wertegeleiteten Außenpolitik des Westens.
    Die brennenden Zwillingstürme des World Trade Centers in New York markieren das Ende der wertegeleiteten Außenpolitik des Westens. Foto: Marty Lederhandler/AP/dpa

    Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 verabschiedeten sich die USA von der Außenpolitik ohne Hässlichkeiten. Präsident George W. Bush ließ Afghanistan und den Irak angreifen und besetzen. Für die Invasion Iraks wurde als Kriegsgrund die Existenz von Massenvernichtungswaffen herbeigelogen. Die USA haben den Nahen und Mittleren Osten in Brand geschossen.

    Für Russland und in China war spätestens dann klar, dass das westliche Projekt der regel- und wertegebundenen Außenpolitik an Doppelzüngigkeit nicht zu überbieten ist. Der Westen redet zwar viel von Handel, Wandel und Verträgen, aber im Zweifel betreibt seine Führungsmacht knallharte Großmachtpolitik.

    Deutschland ist mental auf Realpolitik schlecht vorbereitet

    Das kollidiert natürlich mit der westlichen Idee der Bündnisfreiheit aller Staaten – seien sie noch so klein. Dahinter steckt die Überzeugung, das ökonomisch und kulturell attraktivere Angebot zu haben als Peking und Moskau. Für die Länder in der Einflusszone ist es existenziell bedrohlich, wenn sie in der Einflusszone liegen. Denn dann wird über sie gesprochen statt mit ihnen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj muss das gerade leidvoll erfahren.

    Die Europäer und die Deutschen bekommen zu spüren, dass sie ohne die gewaltige Macht der USA im Rücken Russland nur wenig entgegenzusetzen haben. Problematisch daran ist, dass sich die USA eigentlich von der alten Welt Europas zurückziehen und sich stärker dem neuen Konkurrenten China zuwenden wollen. Für Deutschland heißt es, die Hässlichkeiten der Außenpolitik neu lernen zu müssen. Denn ohne diese Fertigkeit wird es der Europäischen Union an Schlagkraft in der neuen, alten Weltordnung mangeln. Ob die Bundesregierung darauf vorbereitet ist? Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien ist viel von Werten die Rede. Das klingt gut, ist aber zu wenig.

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