Politik beginnt mit dem Blick auf die Realität. Diese Einsicht scheint nun auch bei Putin angekommen zu sein. Der Auftritt des russischen Präsidenten am „Tag des Sieges“ bot nichts von alledem, was Beobachterinnen und Beobachter im Vorfeld befürchtet hatten. Nicht die Ausrufung des Kriegszustands, keine Generalmobilmachung. Stattdessen würdigte Putin erstmals öffentlich die eigenen Opfer – und erkannte damit die finstere Wirklichkeit an.
Putin bleibt ein imperialer Aggressor
All das war so wenig von Siegeszuversicht geprägt, dass man fast den Eindruck gewinnen konnte, der Präsident bereite sein Volk auf eine drohende Niederlage vor. Das allerdings wäre ein fataler Fehlschluss. Was Putin in seiner Rede versucht hat, war eine Frontbegradigung im Innern.
Die Propagandaerzählung von der chirurgisch sauberen „militärischen Spezialoperation“ war angesichts der hohen Verluste schlicht nicht mehr durchzuhalten. Also hat Putin seinem Volk durch die Blume mitgeteilt, dass es nicht gut läuft. Modern gesprochen: Der Kremlchef hat Erwartungsmanagement betrieben. Das aber darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich auch weiterhin um die Ziele eines imperialen Aggressors handelt.