Womöglich ist das, was die Virologin Isabella Eckerle kritisiert, tatsächlich eine der größten gedanklichen Stolperfallen, die sich (nicht nur, aber auch) die deutsche Politik in diesen Tagen selbst stellt. Die Tatsache, dass es in der Corona-Pandemie ein Anfangs-Datum gegeben hat, verleite nicht wenige zu der Annahme, dass es doch auch ein Enddatum geben müsste.
Doch so ein Virus schert sich nicht um menschliche Logik. „Wir sollten langsam anerkennen, dass dieser Tag nicht kommen wird“, sagt Eckerle. Eine Botschaft, die längst noch nicht bei allen angekommen ist. Tatsächlich kann man derzeit mit Staunen auf das blicken, was eigentlich eine der wichtigsten politischen Aufgaben ist und doch im Gezänk um Ideologien und Parteipolitik kaputtgeht: Dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft bestmöglich auf das vorbereitet ist, was kommen könnte – um Gefahren abzuwenden und nicht erst dann zu reagieren, wenn es nur noch um hektisch zu aktivierende und akute Notfallpläne gehen kann.
Den Ministern geht es beim Thema Corona nur ums Prinzip
Leider hat ausgerechnet der Regierungswechsel im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass das Thema Pandemie förmlich missbraucht wird. Da ist auf der einen Seite ein Gesundheitsminister, in den nicht wenige Menschen große Hoffnungen gesetzt haben, der aber nun doch mit den Mühen des ministeriellen Alltags überfordert scheint. Auf der anderen Seite gibt es einen Justizminister, der sich fest vorgenommen zu haben scheint, das Thema Corona zu einem Ende zu führen, der öffentlich Zweifel sät am Sinn von Masken, nur um den eigenen Weg ohne Rücksicht auf Verluste freizuräumen. Förmlich zerrieben zwischen diesen beiden Polen wird das Vertrauen der Gesellschaft, dass die verantwortlichen Minister das Problem im Interesse der Bürgerinnen und Bürger angehen. Inzwischen werden die Warnungen aus der Ärzteschaft, aus den Kommunen, aus der Wirtschaft immer vehementer, dass Deutschland erneut sehenden Auges ohne Plan in den Herbst steuert.
Dabei wäre es theoretisch sogar ein Vorteil, dass ein vorsichtiger Gesundheitsminister mit medizinischem Background und ein Justizminister, der die Einschränkungen geringstmöglich halten will, gemeinsam am Ruder sind. Geradezu ideal, auf dieser Grundlage einen Weg auszuloten, der Vorsicht und Freiheit miteinander vereint. Praktisch ist es leider eher der Weg in die Sackgasse, den beide einschlagen: Statt das Beste aus ihren beiden Welten zu verbinden, stehen sie sich gegenseitig im Weg – und können nur hoffen, dass es so schlimm schon nicht werden wird.
Die Lehren aus der Corona-Pandemie müssen schnell gezogen werden
Diese Situation wäre schon angesichts der sich abzeichnenden neuen Herbst-Welle wenig erfreulich. Doch der Bogen lässt sich deutlich weiter spannen: Wenn wir eines gelernt haben, dann, dass eine Pandemie uns jederzeit treffen kann und wir erstaunlich schlecht vorbereitet waren. Wäre nicht jetzt der Zeitpunkt, aufzuarbeiten, wie es besser laufen kann? Welche Prozesse etwa im Bereich der Digitalisierung oder der Verknüpfung von Behörden dringend in Gang gesetzt werden müssen? Wie die kritische Infrastruktur geschützt werden kann?
Pandemiepolitik ist mehr als das Warnen vor der nächsten Mutation, es ist der Versuch, einen Schritt schneller zu sein als Viren oder andere Katastrophen-Bringer. Es ist die Notwendigkeit, aus dem Modus des Re-Agierens in den Modus des Agierens zu kommen. Natürlich kann sich eine Gesellschaft nie auf alle Eventualitäten vorbereiten. Schon bei Corona wissen wir nicht, wie das Virus weiter mutiert und was das etwa für die Zahl der Intensivpatienten bedeutet. Und natürlich heißt Vorbereitung nicht, vorsichtshalber alles zu verbieten und dichtzumachen. Was eine Regierung aber tun kann und muss, ist die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die beteiligten Akteure im Ernstfall schnell handeln können. Was Deutschland braucht, ist eine umfassende und ernsthafte Aufbereitung der vergangenen zweieinhalb Jahre. Und dabei darf es eben nicht nur um Details gehen.