Am Anfang stand der Zweifel. Als die amerikanische Regierung Anfang des Jahres immer lauter vor einem Überfall Russlands auf die Ukraine warnte, sprachen in Europa nicht wenige von „Panikmache“. Keinesfalls werde der Kreml angreifen, versicherten Putin-Versteher wie der Hamburger Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi: „Wir dürfen uns nicht durch US-Interessen in einen Krieg hineindrängen lassen.“
Zwei Wochen später marschierten die russischen Truppen im Nachbarland ein. Seither zerbomben sie Städte, massakrieren Zivilisten, vergewaltigen Frauen und plündern Häuser. Leider hat Präsident Biden mit seinen Prognosen recht behalten: So unwahr die Geheimdienstinformationen im Irak-Krieg waren, so zutreffend sind sie im Ukraine-Konflikt.
US-Präsident Biden hat im Krieg in der Ukraine viel richtig gemacht
Auch sonst hat Biden in dem seit fast drei Monaten tobenden Krieg viel richtig gemacht: Der erfahrene Außenpolitiker stellte sich ohne Zögern an die Seite der Ukraine, trieb harte Sanktionen voran und machte Milliarden für Waffenhilfen locker, als anderswo noch gezögert und gezaudert wurde. Zugleich betonte er von Anfang an, wo die Grenzen des westlichen Engagements liegen würden: Den Einsatz von Nato-Soldaten lehnt er ebenso ab wie die von Kiew geforderte Errichtung einer Flugverbotszone. Keinesfalls, so sein Credo, darf die Allianz zur Kriegspartei werden.
Mit dieser Besonnenheit ist Biden im stetigen Austausch mit den europäischen Partnern das Kunststück gelungen, die siechende Nato eindrucksvoll wiederzubeleben. Das hatte der russische Präsident Putin nicht erwartet. Gleichzeitig positioniert sich Washington als verantwortungsbewusster Anführer des Westens. Das ist ein Quantensprung nach der nationalistischen Geisterfahrt der Trump-Jahre.
Will Washington Moskau demütigen? Das könnte riskant sein
Eine merkwürdig undisziplinierte Kommunikation auf der anderen Seite des Atlantiks sorgt neuerdings freilich für Irritationen. Zunächst erklärte Verteidigungsminister Austin, man wolle nicht nur die Ukraine verteidigen, sondern Russland dauerhaft „schwächen“. Das klang nach einer riskanten Demütigung der Atommacht. Dann streuten US-Geheimdienste, dass sie Informationen für die Tötung russischer Generäle und zum Versenken des Kriegsschiffes „Moskau“ beigesteuert hätten. Das Weiße Haus spielte die Sache herunter, Biden soll verärgert gewesen sein. Es liegt im ureigensten Interesse Europas, die Ukraine entschlossen bei der Abwehr des Aggressors zu unterstützen, diesem jedoch keinen Vorwand für die Ausweitung der Kampfhandlungen zu geben.
Wenn rechte und linke „Friedensfreunde“ nun aber nicht Moskau, sondern Washington zur treibenden Kraft hinter dem Ukraine-Krieg erklären, zeugt das von einer vorurteilsgetriebenen Realitätsverdrehung. So etwas kann nur glauben, wer die amerikanische Innenpolitik seit Jahren komplett ignoriert hat. Joe Biden ist mit dem Versprechen ins Amt gekommen, die Rolle des Landes als Weltpolizist zu beenden. Er wollte als Sozialreformer punkten und den ökonomischen Wettstreit mit China ausfechten. Nichts kommt ihm so ungelegen wie eine militärische Auseinandersetzung in 8000 Kilometer Entfernung, die kaum jemand in Pennsylvania oder Ohio interessiert, aber die heimischen Benzinpreise explodieren lässt.
Doch offensichtlich ist Europa nicht in der Lage, einen Konflikt vor der eigenen Haustür ohne die USA zu bestehen. Dort aber könnte schon in zweieinhalb Jahren der Möchtegern-Autokrat Trump an die Macht zurückkehren. Wie die Auseinandersetzung des „stabilen Genies“ im Weißen Haus mit dem enthemmten Imperialisten Putin aussehen würde, möchte man sich lieber nicht vorstellen.