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Kommentar: Wie die Regierung um Olaf Scholz den internationalen Ruf Deutschlands verspielt

Kommentar

Wie die Regierung um Olaf Scholz den internationalen Ruf Deutschlands verspielt

Margit Hufnagel
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    Bundeskanzler Olaf Scholz nimmt an einer Kabinettssitzung im Kanzleramt teil.
    Bundeskanzler Olaf Scholz nimmt an einer Kabinettssitzung im Kanzleramt teil. Foto: John Macdougall, dpa

    Es gab Zeiten, in denen die deutsche Kanzlerin als Herrscherin der freien Welt gefeiert wurde. Schon damals war das vor allem eine Verklärung der nüchtern betrachtet eher schwierigen weltpolitischen Positionierung Deutschlands. Doch die Schwärmerei stand symbolisch für eine Phase, in der die Bundesrepublik als maßgeblicher außenpolitischer Faktor wahrgenommen wurde. Regierungschefs von nah und fern drängten in Reden, dass Berlin seine Führungsrolle ausbauen soll. In der EU gerieten wichtige Prozesse ins Stocken, sobald das Kanzleramt auf die Bremse trat. Zumindest

    Insofern ist das, was Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich beschrieben hat, womöglich sogar eine Zeitenwende im doppelten Sinn: Zwar hat sich in der Regierung die Erkenntnis durchgesetzt, dass es allein mit guten Ratschlägen und einem Verweis auf den moralischen Kompass nicht getan sein wird. Doch zugleich wurde ein Kipppunkt erreicht, an dem Deutschland von vielen Nachbarn mit anderen Augen gesehen wird. Es erinnert fast an das Märchen vom Kaiser ohne Kleider: Die Welt (oder zumindest Teile davon) schüttelt den Kopf und sieht die Schwäche des vermeintlichen Kraftprotzes plötzlich mit erstaunlicher Klarheit.

    Viele sehen in Deutschland das schwächste Glied in der Kette

    Der Krieg in der Ukraine legt die deutsche Halbherzigkeit offen wie kaum ein Ereignis vorher. Von Putin heißt es, er wolle gefürchtet werden wie Stalin oder Hitler. Die USA wollen vor allem an der Spitze stehen, egal worum es geht. Deutschland hingegen wollte stets vor allem gemocht werden. In Afghanistan glaubten wir, im Kontrast zu den Amerikanern die Guten zu sein – und konnten am Ende nicht einmal die eigenen Leute ohne Unterstützung rausholen. In der europäischen Schuldenkrise zwangen wir Griechenland unter ein finanzielles Joch – und merken gar nicht, wie sehr das aktuell im Kontrast zu unserer eigenen Haltung steht, dass wir doch den deutschen Wohlstand nicht gefährden dürfen, „nur“ weil Putin in der Ukraine Kriegsverbrechen begeht.

    Viel zu lange hat Deutschland die Bedenken gerade seiner östlichen Nachbarn mit der Arroganz des sich selbst Überschätzenden beiseite gewischt. Viel zu lange hat es seine eigenen Überzeugungen für die alleine seligmachenden gehalten. Bedenken etwa der USA, dass der Umgang mit Russland, aber auch mit China sich irgendwann rächen könnte, wurden als politische Wichtigtuerei und internationales Ressourcen-Geschacher gewertet. Nicht nur die New York Times sieht in Deutschland „Putins wichtigsten Ermöglicher“. Der angesehene Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman bezeichnet Deutschland gar als „das schwächste Glied in der Antwort der demokratischen Welt auf die russische Aggression“.

    Selenskyjs Handeln war nicht klug, aber im Grundsatz verständlich

    Dass nun Frank-Walter Steinmeier in der vergangenen Woche ausgerechnet vom ukrainischen Präsidenten ausgeladen wurde, ließ das halbe Land in Schnappatmung verfallen. Natürlich, klug war Selenskyjs Handeln nicht. Aber doch zumindest im Grundsatz verständlich: Steinmeier wäre (qua Amt) mit leeren Händen gekommen, hätte vor allem den eigenen ramponierten Ruf mit der Reise ins Kriegsgebiet aufpoliert. Wer sich erinnert, dass in Deutschland schon die Nerven blank lagen, als die Regierung die Lieferung der Corona-Impfstoffe um wenige Wochen verzögerte, kann vielleicht nachvollziehen, dass man die Worte eines Präsidenten, dessen Volk gerade abgeschlachtet wird, nicht auf die Goldwaage legen darf. Wenn wir in dieser Situation zu der Erkenntnis kommen, dass die ukrainische Regierung doch gefälligst mal auf unsere Gefühle Rücksicht nehmen soll, muss die Lehre lauten: Endlich gibt mit Selenskyj der Berliner Politik einmal jemand Paroli und führt ihr die Schwäche ihrer bequemen Wohlfühlpolitik vor Augen! Deutschland muss sich den Respekt, den es einfordert, verdienen.

    Ausgerechnet Kanzler Olaf Scholz bremst

    Die aktuelle Regierungsmannschaft hat das Zeug dazu: Ihr ist es in kurzer Zeit gelungen, sich den Rückhalt der Bevölkerung zu erarbeiten. Sie hat es geschafft, über den eigenen ideologischen Schatten zu springen. Sie reflektiert das eigene Handeln. Und: Sie kann aus den Fehlern der Merkel-Regierung lernen, die nicht gerade unwesentlich zur aktuellen Lage beigetragen haben. Kurioserweise bremst vor allem einer - der Kanzler. Dabei hätte sich auch bei ihm die Erkenntnis durchsetzen müssen: Nicht die Lieferung schwerer Waffen oder die klare Positionierung Deutschlands wird Putin weiter ermutigen, sondern das Zaudern und Zögern des größten und stärksten Landes der Europäischen Union. Es liegt in der Verantwortung der Bundesrepublik. Der gute Wille und die edle Absicht oder gar emotionale Grundsatzreden allein werden nicht reichen.

    Alle aktuellen Entwicklungen erfahren Sie jederzeit in unserem Live-Blog zum Krieg in der Ukraine.

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