Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Werte versus Pragmatismus – der Zwiespalt in Baerbocks neuer Außenpolitik

Kommentar

Werte versus Pragmatismus – der Zwiespalt in Baerbocks neuer Außenpolitik

Simon Kaminski
    • |
    Seit einem Jahr auf der internationalen politischen Bühne: Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) ist laut Umfragen die beliebteste Politikerin Deutschlands.
    Seit einem Jahr auf der internationalen politischen Bühne: Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) ist laut Umfragen die beliebteste Politikerin Deutschlands. Foto: Roman Zawistowski, PAP, dpa

    Eine neue Regierung muss Akzente setzen, sie soll schließlich unterscheidbar sein. Diesen Erwartungen entsprach die deutsche Außenministerin, als sie im Dezember 2021 vereidigt wurde. Annalena Baerbock verkündete nichts weniger als eine neue Außenpolitik – wertegeleitet und feministisch. Von der Mischung aus Zweifel und altväterlicher Arroganz, die der heute 42-Jährigen vor einem Jahr entgegenschlugen, ließ sie sich nicht entmutigen. Die Grünen-Politikerin wollte einen anderen Ton setzen, eine klare, verständliche Sprache sprechen. 

    Krieg in der Ukraine: Baerbock muss reagieren, statt eigenen Ton zu setzen

    Doch dann rollten die russischen Panzer über die ukrainische Grenze in Richtung Kiew. Statt behutsam einen eigenen Stil zu suchen, musste die erste Frau an der Spitze des Auswärtigen Amtes auf einen verbrecherischen Angriffskrieg reagieren. Das tat sie auch nach Einschätzung politischer Gegner in Deutschland überraschend souverän. Früher und klarer als Kanzler Olaf Scholz geißelte sie Moskaus kriminellen Überfall, die Menschenrechtsverletzungen in Butscha und vielen anderen Orten, forderte sie die Lieferung von schlagkräftigen Waffen an die Ukraine. So half sie mit, grundlegende Positionen in ihrer Partei in rekordverdächtigem Tempo abzuräumen. Die Außenministerin hat erkannt, dass gewissenlose Hasardeure wie Putin alleine mit Diplomatie und friedlichen Mitteln nicht zu stoppen sind. 

    All dies hat dazu beigetragen, dass Baerbock sich auf internationalem Parkett Anerkennung bei vielen ihrer Amtskollegen erworben hat – in Deutschland gilt sie als beliebteste Politikerin.

    Zweifelhaft ist allerdings, ob sich Baerbock mit dem Schlagwort "feministische Außenpolitik“ einen Gefallen getan hat. Umfragen belegen, dass das Gros der Bevölkerung gar nicht weiß, was damit konkret gemeint ist. Schwerer wiegt, dass ausgerechnet die Außenministerin lange brauchte, bevor sie klare Wort für den frauenfeindlichen Amoklauf des iranischen Regimes fand

    Sich für Menschenrechte im Ausland einzusetzen, ist kein "Gedöns"

    Ob Baerbock ihren hehren Grundsätzen gerecht werden kann, eine wertegeleitete Außenpolitik zu etablieren, ist noch nicht abzusehen. Dass es kein naives "Gedöns“ ist, sich für Menschenrechte im Ausland einzusetzen, zeigt sich an den Ängsten des russischen Präsidenten Wladimir Putin und anderen Autokraten vor funktionierenden Demokratien in der Nachbarschaft und Meinungsfreiheit im eigenen Land. Es geht um die richtige Balance zwischen dem Einstehen für Werte und moralisierendem Selbstzweck. 

    Wie schwer das ist, zeigt sich bei der verzweifelten Suche von Wirtschaftsminister Robert Habeck nach neuen Energiequellen auch aus autoritären Staaten oder an den teils verunglückten Versuchen, die Kataris für westeuropäische Standards zu begeistern. "One Love"-Binden bei Fußballspielen zu tragen, ist für Politiker ein zu kleines Karo. Solche Gesten schränken den eigenen Handlungsspielraum ein. Damit hat sich die deutsche Innenministerin Nancy Faeser auf ein Feld begeben, das politische Aktivisten und Menschenrechtsgruppen effektiver bespielen können. 

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) trägt bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar eine Armbinde mit der Aufschrift "One Love".
    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) trägt bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar eine Armbinde mit der Aufschrift "One Love". Foto: Tom Weller, dpa

    Handel und Verhandlungen rigoros mit allen Staaten auszusetzen, die nicht unseren gesellschaftlichen und moralischen Grundsätzen entsprechen, ist weder durchhaltbar noch sinnvoll. Katar ist nicht Russland, China nicht Nordkorea – die Welt nicht schwarz-weiß. Es ist völlig legitim und möglich, eine Außenpolitik zu betreiben, die deutsche Interessen genau im Blick behält, ohne eigene Werte zu verraten. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden