Lange blickte der Westen mit einer gewissen Arroganz auf die Brics-Allianz. Fast genüsslich wurden Streitigkeiten und Fehlschläge der ungleichen Fünf – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – verfolgt. Heftige Kontroversen, diplomatische Scharmützel, wie zwischen China und Indien – all das gibt es noch immer. Und doch hat sich der Wind gedreht: Niemals fand ein Brics-Gipfeltreffen weltweit so viel Aufmerksamkeit, wie weggeblasen scheint die frühere Gewissheit, dass die als Organisation von Schwellenländern 2009 gegründete Vereinigung keine ernsthafte Konkurrenz darstellen werde.
Nun könnte man einwenden, dass der Zusammenschluss in den 14 Jahren seines Bestehens noch nicht viel zustande gebracht hat, sieht man von einer Entwicklungsbank mit bis dato überschaubaren Geschäftsbilanzen ab. Dass dennoch Staaten Schlange stehen, Brics-Mitglieder zu werden, irritiert Teile der sogenannten westlichen Welt. Gleiches gilt für den Umstand, dass unter den sechs Neuen, die aus Brics zum Jahreswechsel Brics plus machen werden, Staaten mit ökonomisch großem Potenzial sind.
Mitwachsen dürfte auch das Konfliktpotenzial innerhalb der Brics-Gruppe
Mitwachsen dürfte allerdings auch das Konfliktpotenzial in dem bunten Brics-Club. Gleichzeitig bestätigt die Liste der Auserwählten – es sind Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien – dass moralische Skrupel bei der Kandidatenwahl keine Rolle spielen. Welche Strategie steckt dahinter? Es geht nicht um Werte oder Ideologie, es geht um wirtschaftliche Macht. Unpolitisch ist das Projekt Brics natürlich dennoch nicht. Eine Klammer, welche die extrem heterogene Allianz zusammenhält, ist der Wunsch nach einem Gegengewicht zum Westen, nach Unabhängigkeit. Dieser Aspekt macht Brics nicht nur für die Angriffskrieger in Moskau, sondern insbesondere für den großen USA-Rivalen China interessant.
Auch wenn beispielsweise Südafrika an die Adresse von Peking unmissverständlich erklärt hat, dass es völlig falsch sei, Brics als antiwestliche Plattform zu verstehen, muss der Westen zur Kenntnis nehmen, dass das auf seine Interessen ausgerichtete globale Ordnungsmodell für viele Staaten an Attraktivität verloren hat.
Das liegt nicht nur daran, dass beispielsweise auch die Mitglieder der westlichen Industrie-Allianz G7 moralische Grundsätze schnell mal unter den Tisch fallen lassen, wenn es um handfeste Handelsinteressen geht. Es liegt auch an fehlendem Verständnis dafür, dass ihre postulierten Standards für viele Staaten keinerlei Verbindlichkeit haben.
Es wird also Zeit, dass die USA, Kanada und Europa ihre Rolle in der Welt überdenken. Die bestehende Weltordnung – dazu gehört auch die Funktion des Dollars als Leitwährung – wird nicht nur von vielen Brics-Staaten als Instrument, die westliche Vormachtstellung zu zementieren, abgelehnt. Nötig sind Gespräche über neue Regeln, die größere internationale Akzeptanz finden – auch mit unbequemen Partnern.
Außenministerin Annalena Baerbock beschneidet ihren außenpolitischen Spielraum
Ein Punkt, über den sich nicht zuletzt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Gedanken machen sollte. Die Grünen-Politikerin erklärte nach dem Brics-Gipfel, dass die Bundesregierung auch mit solchen Ländern kooperieren werde, deren Ansicht man nicht teile. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch Baerbock beschneidet ihren eigenen diplomatischen Spielraum, wenn sie ihre "wertorientierte Außenpolitik" in einem Maße moralisch auflädt, das Gesprächspartner als Überheblichkeit wahrnehmen.
Die Fliehkräfte innerhalb der Brics-Gruppe sind enorm
Ob Brics plus die Erwartungen ihrer Mitglieder erfüllen kann, ist alles andere als sicher. Die Fliehkräfte sind schon jetzt enorm, sie werden ab dem 1. Januar 2024 weiter zunehmen. Einige hochtrabende Ziele dürften nur schwer erreichbar sein. Eine gemeinsame Brics-Währung als Alternative zum USA-Dollar beispielsweise ist nicht in Sicht. Die Unterschiede der ökonomischen Systeme der Brics-Staaten stellt eine kaum überwindbare Hürde dar – zumal Peking viel eher auf eine Stärkung seiner Währung Renminbi setzt.
China sieht sich auf dem Weg zur weltweit führende Macht. Ein Anspruch, den auch Pekings Brics-Partner zu spüren bekommen. Nichts spricht allerdings dafür, dass Staaten wie Indien oder Brasilien gewillt sind, die Dominanz des Westens einzutauschen gegen eine Hegemonie Pekings.
Der Wandel der Weltordnung ist unumkehrbar
Doch auch wenn Brics an seinen enormen internen Gegensätzen scheitern sollte – der Westen muss sich schnell auf den unumkehrbaren Wandel der Weltordnung einstellen.