Auf dem schmalen Grat zwischen Selbstwahrnehmung und Selbstüberschätzung balanciert nicht jeder Politiker gleichermaßen souverän. Arbeitsminister Hubertus Heil, zum Beispiel, käme vermutlich nicht auf die Idee, sich für den wichtigsten Minister im Kabinett nach Kanzler und Vizekanzler zu halten, nur weil er über den mit Abstand größten Etat gebietet. Bei Annalena Baerbock dagegen sieht es häufig so aus, als messe sie die Qualität ihrer Außenpolitik an der Zahl der geflogenen Flugmeilen. Heute Kiew, morgen Texas, übermorgen New York: Es ist, ein wenig, wie einst bei Hans-Dietrich Genscher, über den man spottete, er werde sich irgendwann selbst über dem Atlantik begegnen.
Schröder hatte Vertrauen in Fischer
Im Prinzip hat die Grüne das gleiche Problem wie viele andere ihrer Vorgänger auch: Sobald es irgendwo auf der Welt ernst wird, wird die Außenpolitik sofort zur Chefsache. In der Ukraine-Politik etwa kann die Außenministerin noch so viele Waffenlieferungen mit immer noch neueren Waffensystemen fordern – am Ende setzt Olaf Scholz sich durch, der sich früh für einen zurückhaltenderen Kurs entschieden hat. Anders als bei Gerhard Schröder, der im Balkan-Konflikt oder im Nahen Osten auf Joschka Fischers Urteil vertraute, passt zwischen Scholz und Baerbock deutlich mehr als das berühmte Blatt. Seine Außenpolitik ist eine Melange aus Vorsicht und pragmatischer Vernunft, ihre ist stark ideologisch motiviert, man denke nur an den plakativen, bislang aber wenig bewegenden Slogan von der feministischen Außenpolitik.
Bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen in dieser Woche in New York werden diese Brüche nicht offen zutage treten. Der Elan jedoch, mit dem Annalena Baerbock nach ihrer gescheiterten Kanzlerkandidatur in ihr Amt als Außenministerin gestartet ist, ist längst einem hektischen Aktivismus gewichen, der die Ministerin scheinbar wahllos durch die Welt führt. Dabei läge vor ihr ein ebenso weites wie wichtiges Feld, das der Kanzler selbst bislang nicht bespielt – nämlich Afrika, wo sich viele vermeintliche Gewissheiten gerade in Militärputschen und Bürgerkriegen auflösen. Die Gefahr, dass ein ganzer Kontinent für den politischen Westen verloren geht, ist sehr real.
Chinas Einfluss in Afrika wächst und wächst
Zu glauben, Staaten wie Mali oder Niger ließen sich quasi nebenbei mit einer Kombination aus militärischem Beistand und Entwicklungshilfe auf ein solides demokratisches Fundament stellen, war erkennbar naiv. Wo aber bleiben die Initiativen, die dem wachsenden Einfluss Chinas in Afrika etwas entgegensetzen und den Kontinent enger an Europa zu binden versuchen? Wer zeigt dort künftig Präsenz – ökonomisch, politisch und notfalls auch militärisch? Seit dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler hat kein deutscher Spitzenpolitiker mehr Afrika zu seiner Sache gemacht. Warum also nicht die Außenministerin, die doch bekannt ist für ihren Ehrgeiz?
Aktive Diplomatie, wie sie Genscher nach dem Fall der Mauer, Fischer im israelisch-palästinensischen Konflikt oder Guido Westerwelle nach dem Ausbruch der Arabellion in Nordafrika betrieben, beschränkt sich nicht darauf, wohlklingende Reden auf wohlorganisierten Konferenzen zu halten. Sie vermittelt zwischen den Antipoden, sie sucht nach Lösungen und Verbündeten, auch auf die Gefahr hin, dass der eine oder andere Ausweg sich irgendwann vielleicht als Irrweg erweist. In Zentral- und Westafrika droht Deutschland gerade eine ähnliche Blamage wie in Afghanistan. Und die Außenministerin sieht zu.