Es ist eine der weitreichendsten Entscheidungen, die die EU seit Langem getroffen hat. Die Ukraine und Moldau erhalten den Beitrittskandidatenstatus. Während die europäische Erweiterungspolitik vor einigen Monaten noch vor sich hindümpelte, sorgte Russlands Angriffskrieg dafür, dass das Thema plötzlich ganz oben auf der Agenda steht. Ging es in der Vergangenheit aber vor allem um die Erschließung neuer Märkte, also ums Geschäft, sind nun Werte und Stabilität die Treiber.
Angesichts der Aggression Wladimir Putins und des Überlebenskampfes der Ukraine ist es richtig, nicht nur nach Kiew, sondern gerade auch nach Moskau ein politisches Signal auszusenden. Und nicht mehr als Symbolpolitik wird hier gemacht. Denn die Ukraine hat noch viele schmerzvolle Schritte zu bestreiten, um ein demokratischer Rechtsstaat zu sein. Ein Beitritt war deshalb bereits vor dem Krieg mehr eine Frage von Jahrzehnten als von Jahren. Diese Tatsache gilt bis heute. Doch jetzt geht es um eine Botschaft, die die Menschen in der Ukraine verdienen.
EU versäumt es, Staaten in direkter Nachbarschaft enger an sich zu binden
Leider fiel sie weniger positiv in Richtung Westbalkan aus. Hier macht die EU einen fatalen Fehler, indem sie es seit Jahren versäumt, die Staaten in ihrer direkten Nachbarschaft enger an sich zu binden, und sei es bei Nordmazedonien und Albanien nur durch den Start von Verhandlungen. Dieser wäre immerhin ein weiterer Schritt im langwierigen, komplexen Annäherungsprozess. Wenn die Gemeinschaft der Ukraine und Moldau eine europäische Perspektive eröffnet, dann kann sie die sechs Westbalkan-Staaten nicht weiterhin am langen Arm verhungern lassen.
Man muss nicht weit in den Geschichtsbüchern zurückblättern, um zu erkennen, dass jene Länder für den Frieden und die Sicherheit Europas ebenso bedeutend sind wie die Ukraine. Nach Jahren des Ausharrens im Warteraum der EU, in denen die Anwärter mit Durchhalteparolen hingehalten wurden, schwindet die Motivation. Es herrscht eine Erweiterungsmüdigkeit nach all den Bemühungen ohne Fortschritt. Gleichzeitig nimmt die Instabilität zu. Als Folge droht ein geopolitisches Vakuum auf dem Kontinent, das Russland nur allzu gerne ausfüllt. Insbesondere Serbien gerät immer mehr in den Einflussbereich des Kremls. Aber auch China bringt sich in der Region mit Geld in Stellung. Das könnte sich für die EU rächen.
EU-Beitrittskandidatenstatus für Ukraine und Moldau als wichtiges Signal
Verheerend für Nordmazedonien ist es schon jetzt. Das kleine Land hat alle Forderungen aus Brüssel erfüllt und sogar seinen Namen geändert, damit Griechenland sein Veto aufgibt – um dann durch ein bulgarisches Nein gestoppt zu werden. Ein unwürdiges Theater. Agiert die EU weiterhin so leichtsinnig, läuft sie Gefahr, diese strategisch wichtigen Länder Ost- und Südosteuropas auf lange Sicht zu verlieren. Das aber kann sich die Gemeinschaft angesichts der aktuellen Krisen nicht leisten.
Vielmehr ist es richtig, dass sie mit der Beitrittskandidaten-Entscheidung zugunsten der Ukraine und Moldau andeutet, dass sie kein an Russland grenzendes Land mehr als Pufferzone ausnutzen und fernhalten will. Die Europäische Union wurde als Friedensprojekt gegründet. In diesen Kriegszeiten hätte sie in Form von Symbolpolitik an ihre Historie anknüpfen können – und auch den beitrittswilligen Westbalkanländern zumindest etwas mehr Hoffnung geben müssen.