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Kommentar: Warum der Asyl-Kompromiss kein Grund zum Feiern ist

Kommentar

Warum der Asyl-Kompromiss kein Grund zum Feiern ist

Margit Hufnagel
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    In Griechenland, hier auf der Insel Samos, gibt es schon heute Lager für Flüchtlinge.
    In Griechenland, hier auf der Insel Samos, gibt es schon heute Lager für Flüchtlinge. Foto: Socrates Baltagiannis, dpa (Archivbild)

    Wer jemals vor einem der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln stand, der wird das Gefühl nicht vergessen, wie es einem die Luft abschnürt. Egal, wie man zum Zuzug von Flüchtlingen nach Europa steht. Egal, ob man überzeugt ist, dass Migration Grenzen braucht. Egal, wie deutlich man die gesellschaftlichen Grenzen der europäischen Länder und ihrer Aufnahmebereitschaft sieht. Wer auch nur erahnt hat, was es heißen muss, in einem Auffanglager zu landen, der konnte kaum anders, als sich Leid und Unmenschlichkeit zu erinnern. Ein Paralleluniversum der schlechten Art. All das sollte sich die Politik bewusst machen, die sich gerade für den europäischen Asylkompromiss selbst auf die Schultern klopft. 

    Nein, Zuwanderung kann nicht unendlich sein. Ja, Staaten haben das Recht, zu definieren, wem sie helfen wollen. Viele Kommunen – und das wird der Flüchtlingsgipfel der Ministerpräsidenten an diesem Donnerstag noch einmal deutlich machen – sind an ihrer Belastungsgrenze angelangt. Es ist die Pflicht der Politik, hier einen Weg aufzuzeigen. Aber die Bundesregierung, die dem Plan zugestimmt hat, muss mutig genug sein, auch die Wahrheit auszusprechen: Mit diesem Vorhaben werden wir die moralischen Werte, die Europa prägen, permanent infrage stellen. Lager an den Außengrenzen mit tausenden Insassen werden uns ethisch herausfordern. Sich das schönzureden und im nüchternen Beamtensprech zu verschleiern, wird dem Thema nicht gerecht. Es gehört zum Wesen eines Kompromisses, dass er auch Schattenseiten hat. Wer die auszublenden versucht, macht sich selbst unglaubwürdig.

    Deutschland hat die Integration versäumt

    Was von der EU beschlossen wurde, ist das krasse Gegenmodell zum deutschen Vorgehen im Jahr 2015. Zustande gekommen ist das nicht ohne Grund. In vielen europäischen Ländern mischen inzwischen rechte Parteien mit. In Deutschland schickt sich die AfD an, zumindest in Umfragen an der 20 Prozent-Marke zu kratzen. Das gilt es auszubremsen. Doch der Reflex ist: Als Problem werden die Migranten und Flüchtlinge ausgemacht – und nicht die Politik, die es über Jahre hinweg versäumt hat, eine Lösung zu finden, getrennt nach Asyl und legaler Zuwanderung. Eine Lösung, die die Schwächsten in den Blick nimmt und sich von Populisten nicht einreden lässt, dass Humanität ein Schimpfwort ist. Wie absurd die Lage inzwischen ist, lässt sich an der zufälligen, aber vielsagenden Gleichzeitigkeit ablesen: Während die EU den Asylkompromiss schnürt, touren Annalena Baerbock und Hubertus Heil durch Lateinamerika, um Fachkräfte anzuwerben. Oftmals übrigens erfolglos. Nicht nur diese, sondern auch die Regierungen vorher haben es sträflich versäumt, jene in Ausbildung zu bringen, die ohnehin schon in Deutschland sind. Das rächt sich gleich doppelt. 

    Ohnehin bleiben viele Fragen offen – Fragen, auf die es am Ende ankommen wird. Denn menschenwürdig bleiben die Asyllager nur dann, wenn sie für die Migrantinnen und Migranten nicht zur Falle werden. Zwar sollen dort Verfahren im Schnelldurchlauf abgehalten werden. Doch wie das gehen soll, bleibt vorerst Theorie. Das Wort vom „sicheren Drittstaat“ klingt zwar schlüssig, besteht aber den Praxistest bislang nicht. Schon jetzt ist das Thema Abschiebungen eines der schwierigsten. Tausende Menschen müssten Deutschland längst verlassen haben, doch die Rückführung scheitert oft aus einem mehr als simplen Grund: die Heimatländer nehmen ihre Leute nicht zurück. Deshalb ist die Hoffnung, dass Migranten aus sicheren Herkunftsstaaten schnell aus der EU verbannt werden könnten, so lange eine Illusion, wie dieses Dilemma nicht gelöst ist. Denn: Vor dem Problem wird die EU auch mit dem neuen System stehen. 

    Staaten weigern sich, ihre Bürger zurückzunehmen

    Ohne Abkommen mit Staaten wie etwa Tunesien oder anderen afrikanischen Ländern wird das ganze Konstrukt in Rekordzeit in sich zusammenbrechen. Wie schwer das Auslagern von Problemen ist, erfährt gerade Großbritannien. In Ruanda sollten Migranten untergebracht werden, die auf die Insel wollen – das Verfahren liegt auf Eis. Und das aus guten Gründen. Auch Tunesien hat bei einem Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits abgewunken. Mag sein, dass die Zustimmung eine Frage des finanziellen und politischen Preises ist. Doch geklärt ist eben noch längst nicht alles. 

    Genauso wenig wie auch die Zustimmung von EU-Staaten wie Polen und Ungarn, die nicht im Traum daran denken, sich zumindest finanziell an der Versorgung von Flüchtlingen zu beteiligen. Solange all das nicht geklärt ist, bleibt der Asylkompromiss das, was er ist: ein Versuch, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden und dabei beide Augen ganz fest zuzudrücken. 

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