Der Krieg in der Ukraine ist noch keinen Monat alt, als Wolodymyr Selenskyj die Linien für eine mögliche Waffenruhe skizziert. Er sei bereit, über den Status der von Russland annektierten Krim und der besetzten Gebiete im Osten seines Landes zu reden, beteuert der ukrainische Präsident Anfang März. Eine Kapitulation sei das zwar nicht, fügt er noch rasch hinzu. „Aber wir können diskutieren und einen Kompromiss finden.“
Heute sind beide Länder von einer diplomatischen Lösung ihres Konfliktes so weit entfernt wie Wladimir Putin von der Verleihung des europäischen Menschenrechtspreises. Zwar beteuert Altkanzler Gerhard Schröder, sein Kumpel Wladimir strebe eine Verhandlungslösung an – wie aber soll die zustande kommen, so lange beide Seiten alleine auf die Logik des Militärischen setzen? Anders als in der Krim-Krise 2014 lotet diesmal keine unabhängige Instanz wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kein neutrales Land wie Österreich oder die Schweiz, kein Vermittlerduo wie Angela Merkel und François Hollande die Chancen eines Waffenstillstandes aus. Die Türkei hat es zwar geschafft, einige Getreidefrachter aus ukrainischen Häfen loszueisen – als Friedensschmied aber ist Recep Tayyip Erdogan die denkbar ungeeignetste Besetzung. Ihn treiben bei seinen Treffen mit Putin vor allem egoistische Motive an: Knapp ein Jahr vor der Wahl braucht er einen außenpolitischen Erfolg, weil seine Regierung wegen der Wirtschaftskrise mit dem Rücken zur Wand steht, außerdem ist Erdogan als Präsident eines Nato-Landes zu sehr Partei, um als unabhängiger Makler anerkannt zu werden.
Selenskyj setzt aufs Gespräch mit China
Selenskyj versucht nun zwar, mit der chinesischen Regierung ins Gespräch zu kommen, die am Hofe Putins noch am ehesten gehört wird. Zur traurigen Wahrheit gehört aber auch, dass keine der beiden Parteien im Moment großes Interesse an einem Ende der Kämpfe zeigt. Putin verfolgt weiter seine kruden imperialen Fantasien von einer Wiedergeburt des alten Sowjetreiches – und Selenskyj fühlt sich dank der Waffenlieferungen aus den USA, Deutschland und anderen Ländern offenbar so stark, dass er neuerdings sogar über eine Rückeroberung der Krim schwadroniert, als sei die russische Armee schon auf eine zu vernachlässigende Größe geschrumpft. Wie Putin, so scheint es, fehlt auch ihm jene Portion Realitätssinn, die nötig ist, um diesen Krieg nicht noch weiter eskalieren zu lassen.
Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und Regierungen wie die deutsche oder die britische sind an dieser Situation nicht unschuldig. Sie haben zwar harte Strafmaßnahmen verhängt und die ukrainischen Truppen kräftig aufgerüstet, darüber aber das Diplomatische vernachlässigt. Außenministerin Annalena Baerbock verstieg sich gar zu der Bemerkung, die Sanktionen des Westens sollten „Russland ruinieren“ – das klang, als mache sie jeden einzelnen Russen für die Entgleisungen seines Präsidenten mitverantwortlich und lehne Gespräche per se ab. Doch so leicht es ist, einen Autokraten wie Putin zu ächten: Um diesen Krieg zu beenden, wird man wieder mit ihm reden müssen, und sei es über einen neutralen Dritten.
Ja, der Papst hat versucht, ihn zum Einlenken zu bewegen, der österreichische Kanzler war in Moskau und der französische Präsident gleich mehrfach. Die Kraft der Diplomatie aber kann erst wirken, wenn sie beide Seiten in die Pflicht nimmt, den Kreml und die ukrainische Regierung. Zu glauben, Russland ziehe seine Armee unter dem Feuer der Verteidiger irgendwann einfach so zurück, wäre jedenfalls naiv. Die Krim hat die Ukraine längst verloren, und im Osten des Landes hat Putin vermutlich mehr Anhänger als Selenskyj oder die Klitschko-Brüder.
Krieg in der Ukraine: Spricht Schröder in Putins Namen?
Eine diplomatische Lösung, von wem auch immer sie am Ende vermittelt wird, kann diese Realitäten nicht einfach ausblenden, sie darf Putin aber auch nicht zu weit entgegen kommen, weil das nur neue imperiale Gelüste bei ihm wecken würde. Gerhard Schröder, so umstritten seine Rolle auch sein mag, hat dazu jetzt einen interessanten Vorschlag beigesteuert, nach dem Kiew der russischen Minderheit im Donbass mehr Rechte einräumt, die Region aber weiter zur Ukraine gehört. Eine quasi-autonome Krim würde dafür nach einer längeren Übergangsphase ganz an Russland fallen – wie Hongkong einst an China. Ob Schröder diese Ideenskizze im Namen des russischen Präsidenten öffentlich gemacht hat oder auf eigene Rechnung, ist unklar. Darüber zu verhandeln, aber könnte sich so oder so lohnen. Nach nach fast sechs Monaten wird in diesem Konflikt noch immer zu viel geschossen und zu wenig geredet.