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Kommentar: Wann hören wir endlich auf, uns falsch verstehen zu wollen?

Kommentar

Wann hören wir endlich auf, uns falsch verstehen zu wollen?

Michael Stifter
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    Die Politik der Bundesregierung steht immer wieder in der Politik.
    Die Politik der Bundesregierung steht immer wieder in der Politik. Foto: Soeren Stache, dpa

    Cem Özdemir will Kindern ihre Schokoriegel wegnehmen. Außenpolitik soll nur noch für Frauen gemacht werden. Sahra Wagenknecht findet es nicht so schlimm, wenn ukrainische Frauen vergewaltigt werden. Robert Habeck will Bürgern den Strom abdrehen. Und wer Gendersternchen albern findet, soll künftig beim Staat denunziert werden. Klingt alles ein bisschen zu irre, um wahr zu sein? Ist es auch. Und trotzdem geistern all diese halb wahren oder ganz falschen Behauptungen, die bewussten Verkürzungen und fragwürdigen Zuspitzungen durch die deutsche Öffentlichkeit. 

    Solche Geschichten bringen Aufmerksamkeit und Klicks auf Online-Portalen oder sozialen Netzwerken. Aber vor allem tragen sie dazu bei, dass die politische Diskussionskultur den Bach heruntergeht. Wollen wir das? 

    Natürlich gehört es zur politischen Auseinandersetzung, Inhalte zu vereinfachen. Aber anstatt für eigene Standpunkte zu werben, beschränken sich immer mehr Politikerinnen und Politiker darauf, Positionen anderer lächerlich zu machen. Und wenn das nicht reicht, wird eben die Person selbst diskreditiert. 

    Es ist besser, Sahra Wagenknecht inhaltlich zu stellen, als sie persönlich anzugreifen

    Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit Sahra Wagenknecht. Die Linke verbreitet so viele gruselige Behauptungen und teils glatte Lügen, dass es ganz einfach ist, sie inhaltlich zu stellen. Dass Wagenknecht so tut, als wäre der Krieg in der Ukraine einfach nur eine Auseinandersetzung zweier Länder mit unterschiedlichen Interessen – und dabei weitgehend ausblendet, dass eines dieser Länder das andere grundlos überfallen hat – darf keine Sekunde unwidersprochen bleiben. Doch die persönlichen Angriffe auf sie schießen teils derart über das Ziel hinaus, dass Wagenknechts Kritiker damit ausgerechnet die Vorurteile all jener bestärken, die ohnehin unterstellen, man dürfe in Deutschland nicht mehr seine Meinung sagen.

    Cem Özdemir will Kindern eben nicht den Schokoriegel verbieten

    Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit den Grünen. Seit sie regieren, malt die Opposition (und bisweilen sogar der Koalitionspartner FDP), flankiert von den immer gleichen Medien, immer neue Schreckgespenster an die Wand. Verbotsrepublik, Umerziehung, Gender-Gaga - nur ein paar der üblichen Schlagworte. Oft werden dabei Positionen der Grünen derart überspitzt, dass man sich nur fassungslos ans Hirn fassen kann. Nur: Der Landwirtschaftsminister will Kindern in Wahrheit gar nicht die Schokoriegel wegnehmen, sondern Werbung für Süßigkeiten verbieten, die sich direkt an Kinder wendet. Und der Wirtschaftsminister will auch nicht den Bürgern den Strom abdrehen, sondern die Netzbetreiber müssen entscheiden, wie Strom rationiert wird, sollte es tatsächlich zu Engpässen kommen. 

    Donald Trump hat in den USA vorgemacht, wohin das führen kann

    In Donald Trumps USA kann man erleben, wohin diese Form der Auseinandersetzung führt. Beschimpfungen, Lügen und Verfälschungen ersetzen echte Diskussionen. Und hier geht es ausdrücklich nicht nur um Populismus, sondern auch um den Versuch, Menschen abzudrängen, die der Mehrheit widersprechen. Zu viel politische Korrektheit verengt den Raum für Debatten - und provoziert noch mehr Unkorrektheit. 

    Eine Gesellschaft, in der aber immer weniger Bürgerinnen und Bürger bereit sind, eigene Positionen zumindest zu hinterfragen, verliert den Kitt, der sie zusammenhält. Wie wäre es, wenn wir wenigstens versuchen, Menschen zu verstehen, deren Ansichten wir nicht teilen, anstatt sie absichtlich falsch verstehen zu wollen, weil es so gut in unser Weltbild passt?

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