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Kommentar: Von wegen "Corona-Diktatur": Worum es Querdenkern wirklich geht

Kommentar

Von wegen "Corona-Diktatur": Worum es Querdenkern wirklich geht

Michael Stifter
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    Beim Thema Impfpflicht gehen die Meinungen innerhalb der Bevölkerung auseinander. Für die Querdenker wäre sie der Beweis für "staatliche Willkür".
    Beim Thema Impfpflicht gehen die Meinungen innerhalb der Bevölkerung auseinander. Für die Querdenker wäre sie der Beweis für "staatliche Willkür". Foto: Daniel Reinhardt, dpa

    Als Querdenker hat man es auch nicht leicht. Fast alle Corona-Einschränkungen: abgeschafft. Impfpflicht: gescheitert. Angela Merkel: in Rente. Wogegen lässt sich künftig noch opponieren? Aber Sarkasmus beiseite: Selbst jetzt, da wir nach zwei Jahren Ausnahmezustand Schritt für Schritt unser normales Leben zurückbekommen, gehen querdenkende „Spaziergänger“ ja noch auf die Straße, um zu protestieren. Nur wogegen eigentlich?

    Schon der Begriff "Corona-Kritiker" führt in die Irre

    Um dieses Phänomen zu erklären, muss man vielleicht schon bei der Sprache anfangen. Wir haben uns daran gewöhnt, von „Corona-Kritikern“ zu reden. Aber was soll das eigentlich bedeuten? Wo es Kritiker gibt, müssten ja auch Anhänger sein. Von glühenden

    Das mag eine Petitesse sein, sagt aber doch mehr aus, als man meinen könnte. Die Gegner der Pandemie-Politik werden den Begriff ganz gerne hören, denn es geht ihnen ja darum, sich als kleinen unbeugsamen, ja kritischen Teil der Bevölkerung zu inszenieren, der „die da oben“ misstrauisch beobachtet, während die große Masse sich der vermeintlichen Corona-Diktatur unterwirft. Dass eine angebliche „staatliche Willkürmaßnahme“ wie die Impfpflicht einfach so auf demokratischem Wege abgelehnt wird, will so gar nicht in dieses Weltbild passen.

    Die Wut der Querdenker ist in Teile der Gesellschaft hineingesickert

    Man kann sich nun also lustig machen über das Querdenker-Milieu, das innerhalb weniger Wochen all seiner Themen beraubt wurde. Nur: Das in zwei Jahren Pandemie angestaute – und angestachelte – Misstrauen gegenüber Staat, Politik, Wissenschaft oder Medien wird nicht wieder verschwinden. Es ist in einen Teil der Gesellschaft hineingesickert.

    Die Wut wird sich eher neue Ziele suchen, als zu verpuffen. Man kann das jetzt schon sehen, wenn Leute sich rechtfertigen müssen oder als obrigkeitshörig verunglimpft werden, weil sie weiterhin in der Öffentlichkeit Maske tragen. Ausgerechnet jene, die geifernd nach Freiheit schreien, scheinen sich nicht vorstellen zu können, dass es Menschen gibt, die sich aus freien Stücken dazu entscheiden, sich und andere vor einer Infektion zu schützen.

    In sozialen Netzwerken feiern extremistische Gruppierungen das Aus für die Impfpflicht, schütten Häme über den Gesundheitsminister aus – und kündigen gleichzeitig an, weiterhin auf die Barrikaden zu gehen.

    Hier zeigt sich noch ein Grund, warum wir uns nicht allzu große Hoffnungen machen sollten, dass sich die explosive Stimmung einfach legen wird – selbst wenn die Pandemie eines Tages zu Ende ist. Unter die Bürgerinnen und Bürger, denen tatsächlich „nur“ die Freiheitsbeschränkungen im Kampf gegen Corona zu weit gingen, hatten sich schon früh Demokratieverächter, Populisten, Verschwörungsideologen und Rechtsextreme gemischt. Sie infiltrierten die Bewegung und werden auch in Zukunft alles dafür tun, die Zündschnur immer wieder anzustecken.

    Unter dem Deckmantel, für Freiheit und Bürgerrechte zu kämpfen, geht es ihnen in Wahrheit vor allem darum, das Vertrauen in staatliche Institutionen, in Politikerinnen und Politiker auszuhöhlen. Umso wichtiger wäre es, dass sich die demokratischen Kräfte nicht in taktischen Spielchen und gegenseitigen Schuldzuweisungen verlieren – wie es in dieser Woche passiert ist.

    Das unwürdige Schauspiel im Bundestag nutzt denen, die von Spaltung leben

    Man kann darüber streiten, ob die Impfpflicht richtig ist oder falsch. Doch das unwürdige Schauspiel im Bundestag samt Ablehnung aller Anträge dürfte bei vielen Menschen den Eindruck verstärkt haben, dass es weder Regierung noch Opposition um die Sache ging, sondern vor allem um den eigenen strategischen Nutzen. Genutzt hat das aber vor allem jenen, die von Wut und Spaltung leben.

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