Ein US-Berater bekommt gerade auch auf der europäischen Seite des Atlantiks besonders viel Aufmerksamkeit. Es ist Elbridge Colby, früher in Diensten der Trump-Administration. Er wirbt für seine außenpolitische Kernbotschaft. Die lautet in Kurzform: China ist viel gefährlicher als Russland. Die Biden-Regierung gibt sehr viel Geld für die Ukraine aus. Diese im Krieg gegen Russland zu unterstützen und sich für einen Krieg gegen China vorzubereiten, sei zu viel. Die USA müssten sich entscheiden. Daraus folgt: Die Europäer sollten mehr Verantwortung übernehmen. Egal, ob man Colbys Analyse teilt, mit seiner Schlussfolgerung hat er mehr denn je recht.
In einem guten Jahr weiß die Welt, ob US-Präsident Joe Biden vier weitere Jahre regiert. Oder Donald Trump. Spätestens dann wird sich entscheiden, ob die USA weiter bereit sind, derart massiv den ukrainischen Freiheitskampf (finanziell) zu unterstützen. Oder ob sie sich mehr und mehr auf den größeren Rivalen konzentrieren. Was Colby als zwingend erachtet.
In der EU gibt es 27 Einzelarmeen – abhängig von den USA
Für die EU stellt sich - nicht nur im wiederkehrenden Angesicht Trumps - immer mehr die Frage, wie sie es mit ihrer Verteidigungsfähigkeit hält und halten will. Oder ob man vier Jahre verloren hat. Als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch ihre Rede zur Lage der Union hielt, ist es wie schon ein Jahr zuvor recht wenig um Verteidigung gegangen. Ganz anders 2021. Unter dem Eindruck des Abzugsdebakels in Afghanistan hatte Deutschlands frühere Verteidigungsministerin damals gesagt, dass weniger Zusammenarbeit ganz einfach nie die richtige Antwort sei, wenn es um Sicherheit und Verteidigung gehe und dass es eine europäische Verteidigungsunion brauche.
Nun hat die EU zuletzt viele Fortschritte und Erfolge gehabt, aber von einer wie auch immer gearteten Verteidigungsunion ist man vielleicht weiter denn je entfernt. Das ist für sich beklagenswert, allerdings waren und sind die Hürden für eine gemeinsame europäische Armee sehr hoch - angefangen bei der Nichtvollendung der politischen Union bis hin zu so etwas wie einem gemeinsamen Wehrrecht für 27 Einzelarmeen.
Die Bundesregierung muss sich bei der Verteidigungspolitik Fragen gefallen lassen
Wenn hierzulande aber die sich vergrößernde Nato das Maß der verteidigungspolitischen Dinge bleibt, muss sich gerade Deutschland fragen lassen, warum es vollkommen unnötig Zweifel an seinem Willen aufkommen lässt, das vom Verteidigungsbündnis festgeschriebene Ziel einzuhalten. Und künftig regelmäßig zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Während in Europa ein Krieg tobt, dessen Ende nicht absehbar ist.
Die Sprachregelung der Bundesregierung ist derzeit, dass man diese zwei Prozent im mehrjährigen Durchschnitt erfüllen wolle. Das Ziel könnte also innerhalb von fünf Jahren mal unter- und mal übererfüllt werden. Das ist eine fatale Botschaft. Außenministerin Annalena Baerbock hat zwar im FAZ-Interview argumentiert, ein mehrjähriger Durchschnitt sei effizienter als stückeln zu müssen, um immer auf zwei Prozent zu kommen. Aber das ist wenig überzeugend. In seiner Zeitenwende-Rede hatte Bundeskanzler Olaf Scholz betont, dass Deutschland "von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren" werde. Das sollte unbedingt gelten.
Es ist zwar richtig, dass neben Deutschland derzeit viele weitere Nato-Staaten das Zwei-Prozent-Ziel verfehlen. Umso mehr sollte das Land, das von der Friedensdividende am meisten profitiert hat, nun vorangehen. Trump ist ein unverbesserlicher Lügner, aber mit seiner Kritik an der unfairen Lastenteilung innerhalb der Nato hat er recht. Man sollte den sich von China herausgefordert fühlenden USA, egal wer sie künftig regiert, hier keine offene Flanke bieten.