All denen, die atemlos die Abwahl von Donald Trump erwarten, musste bei der TV-Debatte vorige Nacht mehrfach der Atem stocken. Da waren sie wieder, jene Momente, in denen Trump jene Salven abfeuern konnte, die vor vier Jahren schon Hillary Clinton versenkt haben - die Angriffe gegen angeblich unaufrichtige und wirtschaftsfeindliche Demokraten, welche die Nöte einfacher Arbeiter nicht verstehen.
"I ran because of you", schleuderte er dem Demokraten Joe Biden entgegen: "Ich bin deinetwegen angetreten." "Wenn Du und Barack Obama einen guten Job gemacht hättet, wäre ich nicht angetreten."
Das Thema im US-Wahlkampf: Die Corona-Pandemie
Es ist die tollkühne Chuzpe des Underdog, des Außenseiters, der scheinbar – obwohl milliardenschwer und den Milliardären verpflichtet – für die kleinen Leute kämpft und dabei auf Regeln pfeift (auch wenn Trump sich diesmal arg mühte, zumindest den Anschein menschlicher Umgangsformen zu wahren).
Diese Momente zeigten aber zugleich gerade das Dilemma von Trump auf: Auf Verweise zu seiner Amtsleistung, wie er es geplant hatte, kann er nicht bauen. Über die (bis vor kurzem durchaus florierende) US-Wirtschaft spricht derzeit niemand, nicht einmal über Trumps vermutlich erfolgreiche Benennung weiterer konservativer Richter für den Obersten Gerichtshof - sondern über Corona und die aktuelle akute Krise.
Donald Trump ist weder mitfühlend noch wirkt er menschlich
Und, der größte Nachteil: Trump ist nun einmal Präsident, das verstehen selbst mäßig informierte Wähler. Mehr noch: Er ist ein extrem unbeliebter Präsident, insbesondere bei Frauen, die ihn vor vier Jahren noch erstaunlich stark unterstützt hatten, aber ihm nun laut Umfragen davon laufen. Seine eigene Corona-Erkrankung wäre eine Chance gewesen, menschlicher, auch mitfühlender zu wirken. Das Problem ist, dass Trump selbst nach Einschätzung seiner engsten Weggefährten diese Gefühle nicht kennt.
Trump hätte in dieser letzten großen TV-Debatte einen "Knockout Punch" gebraucht, einen K.O.-Schlag, alternativ einen großen Fehler von Biden. Der war oft genug verwirrt, dass einem klar wird, dass er kein guter Kandidat ist, eben doch ein „Sleepy Joe“, wie ihn Trump verspottet. Als Trump ihn direkt angriff, konnte er direkt kontern, nach vier Jahren kenne die Bevölkerung noch klarer den Charakter des aktuellen Präsidenten. Das ist genau der Punkt: Donald Trump kämpft nicht gegen Joe Biden. Er kämpft gegen Donald Trump. Genau das macht diese Wahl allerdings auch so unberechenbar.
Der Bericht: Viele Attacken und ein Hitler-Vergleich: Trump und Biden teilen bei TV-Duell aus
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