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Kommentar: Union und SPD müssen raus aus ihren Komfortzonen

Kommentar

Union und SPD müssen raus aus ihren Komfortzonen

Michael Pohl
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    Union und SPD waren lange in der Komfortzone.
    Union und SPD waren lange in der Komfortzone. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Zumindest fürs Erste scheint der Aufstieg der AfD gestoppt. Der Wirbel um entlarvende Treffen mit Neonazis, krude Theorien ethnischer Säuberungen im Zeitalter der modernen Bundesrepublik und die Massendemonstrationen gegen die Enttabuisierung des Rechtsextremismus bescherten der Partei nach langem Wachstum erstmals einen steilen Knick nach unten in der Zustimmung. Gleichwohl behauptet sich die

    Nach dem Ampelchaos lockt auch Jamaika niemanden mehr

    Für die anderen Parteien gibt der Sinkflug der AfD keinerlei Anlass zur Selbstzufriedenheit. Im Gegenteil. An der Nachdenklichkeit jener bisherigen Anhänger, die sich aus guten Gründen von der radikalisierten AfD abwenden, sollte man sich auch innerhalb von SPD und Union ein Beispiel nehmen und jetzt innehalten. Denn die kurze Atempause könnte für sie ungenutzt verfliegen. Sie könnte aber auch die Chance auf eine Trendwende für politisch stabilere Verhältnisse bieten. Denn das Modell Dreierbündnis hat im Dauerstreit der Ampel versagt. Der inhaltliche Spagat zwischen Grünen und FDP ist zu weit, sodass auch eine Jamaika-Koalition unter Führung der Union niemanden mehr lockt. 

    So wäre es für Union und SPD an der Zeit, sich auf ihre einstige Bedeutung als alte Volksparteien zurückzubesinnen. Inzwischen wandelte sich der Begriff Volkspartei zum hohlen Marketing-Etikett. Die CDU entfernte sich als Kanzlerwahlverein unter Angela Merkel und pragmatische Machtmaschine in den Ländern von ihrem gesellschaftlichen Wurzelgeflecht. Die CSU bezahlte schwindende Volksnähe mit Verlusten weiter Teile ihrer einstigen „Leberkäsetage“ an die Freien Wähler. 

    Die SPD hat ihre Kernwählerschaft kampflos aufgegeben

    Doch am weitesten entrückte die SPD vom Anspruch einer Volkspartei. Die einstige Arbeiterpartei entfremdete sich von ihrer Kernwählerschaft und überließ sie kampflos anderen: Der Name der stärksten Arbeiterpartei lautet seit Jahren bei vielen Landtagswahlen: AfD. In Bayern stimmten laut Analysen die als „Arbeiter“ eingeordneten Wähler zu 31 Prozent für die AfD und nur zu fünf Prozent für die SPD. In Hessen sammelte die AfD gar 40 Prozent der Arbeiterstimmen ein, während die SPD ein Viertel ihrer Wählerschaft verlor.

    Dass es auch anders geht, zeigten sogar Olaf Scholz und sein Wahlkampfteam: An die Adresse der unteren Mittelschicht plakatierten sie 2021 mit Erfolg Themen wie Respekt, billigere Mieten und sicherere Arbeitsplätze. Doch unter dem Druck der Krisen konnte Scholz als Kanzler weder beim Thema Mieten noch in puncto Wirtschaft liefern. Die einseitige soziale Ausrichtung der vom schlechten Hartz-IV-Gewissen geplagten SPD auf Bürgergeld- und Mindestlohnempfänger kam in den mit der Inflation besonderes kämpfenden Lohngruppen nicht als Respekt für ihre Leistung an, sondern entfachte im Gegenteil eine Debatte, ob sich Arbeiten noch lohnt

    Ohne sozialeres Profil lässt die Union viele Wähler links und rechts liegen

    Auch die Union muss sich fragen, ob sie große, weniger gut begüterte Teile der Bevölkerung einfach links oder rechts liegen lassen will. Migrationskritische Parolen oder Wirtschaftsversprechen können ernsthafte soziale Angebote an die schwankende Wählergruppe nicht ersetzen. Vielmehr bräuchte die Union auch in der ersten Reihe glaubwürdige Köpfe, die für ein soziales Profil stehen. Dies mag konfliktreicher sein, als in der Komfortzone auf eine Große Koalition zu schielen und die Sozialrolle der SPD zu überlassen. Doch andere stabile Zweierbündnisse werden für Union und SPD zur Illusion, wenn sie die Verantwortung wirklicher Volksparteien scheuen. 

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