Olaf Scholz wird in dieser Woche Bundeskanzler, das klingt inzwischen völlig normal. Dabei ist es erst ein paar Monate her, dass es komplett utopisch schien, dass ausgerechnet die SPD die nächste Regierung anführen würde. Jetzt steht die Sozialdemokratie am Scheideweg: Wiederholt sie die Sünden der Vergangenheit, kann auch das Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP kaum gelingen. Das Traumergebnis, mit dem der Koalitionsvertrag beschlossen wurde, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschlossenheit der vergangenen Monate bald zu bröckeln droht.
Olaf Scholz und seine SPD, das ist eine wechselvolle Geschichte. Kaum zwei Jahre ist es her, da verschmähten ihn die Mitglieder als Parteichef. Der damalige Juso-Chef Kevin Kühnert zog die Strippen für das linke Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Das pragmatische, konservativere, wirtschaftsfreundlichere Lager um Scholz schien abgemeldet.
Kehrt die Lust am selbstzerstörerischen Streit nun zurück?
Was die Parteilinke feierte, ließ die Wählerbasis schaudern, der Status als Volkspartei drohte, verloren zu gehen. Es zeugt von Größe, dass die tonangebenden Parteilinken erkannten, dass nur ein Angebot an breite Bevölkerungsschichten, weit in die politische Mitte hinein, die Rettung bringen kann. Und dass Scholz diese Hoffnung am besten verkörpert. Scholz' frühe Nominierung zum Kanzlerkandidaten schien zunächst wie ein bizarrer Widerspruch: Der Mann, den sie als Parteichef nicht wollten, sollte nun die Partei in den Überlebens-Wahlkampf führen? Tatsächlich deutete zunächst alles darauf hin, dass das Manöver zum Scheitern verurteilt sei. Die Umfragen blieben in der Todeszone um 15 Prozent. Was nicht an dem nüchternen Hamburger selbst lag, der seit Jahrzehnten eine feste und vor allem bekannte Größe im deutschen Politikbetrieb ist. In Erhebungen zur persönlichen Beliebtheit landete er regelmäßig deutlich vor seinen Herausforderern Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet von der Union.
Doch es war seine Partei, die ihm wie ein zentnerschwerer Klotz am Bein hing. Der jahrelange Streit zwischen widerstrebenden Parteiströmungen, die Lust an der Selbstzerfleischung schreckten viele ab, die sich durchaus mit sozialdemokratischen Zielen identifizieren. Dass Scholz die Wahl dann doch gewann, liegt nicht nur an seiner persönlichen Bekanntheit und seiner Aura des Verlässlichen. So wie die SPD ihm ihre Auferstehung verdankt, verdankt auch Scholz seine Kanzlerschaft zum Teil der SPD. Nur weil die Partei zuletzt geschlossen hinter ihrem Bewerber stand, kann sie nach Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder wieder einen Kanzler stellen. Der wird nun ohne seine Partei nicht erfolgreich regieren können. Fällt die SPD in die alten zerstörerischen Muster zurück, droht die Ampel allerdings schnell aus dem Tritt zu geraten. Im linken Parteiflügel etwa trauern viele noch einer rot-rot-grünen Regierung nach, hätten sich Steuererhöhungen für Reiche gewünscht. Doch die ließen sich nun, in einem Bündnis mit FDP-Beteiligung, nicht durchsetzen.
Kevin Kühnert wird nun noch wichtiger für Scholz
Dass ideologische Träume nicht wieder das Gefühl für das Machbare überlagern, dafür muss künftig wohl ausgerechnet die linke Ikone Kevin Kühnert sorgen, der Lars Klingbeil als Generalsekretär beerben soll. Scholz und sein einstiger Widersacher werden damit zur Schicksalsgemeinschaft. Kühnert muss dem linken Flügel auch Zumutungen schmackhaft machen, die eine Koalitionsregierung unweigerlich mit sich bringt. Scholz dagegen wird viele Vorhaben nicht ohne den Segen Kühnerts durchbringen. Moderiert wird dieser Prozess durch eine Parteispitze, die nach dem Ausscheiden von Norbert Walter-Borjans nicht mehr rein links besetzt ist. Partner der streitbaren Saskia Esken wird wohl Lars Klingbeil, selbst eher konservativ. Er hat nicht nur den Scholz-Wahlkampf brillant geführt, sondern auch die Reihen hinter Scholz geschlossen. Künftig muss er dafür sorgen, dass der Kanzler ohne allzu viel Störfeuer aus der Basis regieren kann. Ob und wie schnell sich das neue sozialdemokratische Machtzentrum einspielt, ist offen. Doch wenn die SPD die Geschlossenheit, die den Wahlsieg ermöglichte, nicht bewahren kann, ist das Kanzleramt in vier Jahren wieder futsch.