Die Bundesregierung prüft, die rechtskonservative italienische Ministerpräsidentin schafft Fakten. Während Europa und die deutsche Politik noch diskutieren, ob man Asylverfahren in Drittstaaten durchführen kann, prescht Giorgia Meloni vor. Künftig will Italien zehntausende Asylsuchende, die von italienischen Schiffen im Mittelmeer gerettet wurden, nach Albanien bringen. Dort sollen italienische Beamte in Aufnahmelagern entscheiden, ob die Menschen nach Italien dürfen oder nicht.
Ob der Plan funktioniert, ist offen, allein schon, weil er gegen europäisches Recht verstoßen könnte. Zudem ist völlig unklar, was mit den Migranten passieren soll, die abgewiesen werden. Albanien würde, ebenso wie Deutschland oder Italien daran scheitern, sie in ihre Heimatländer zurückzuführen. Wie schwierig das ist, zeigte zuletzt eine Notiz von Beamten des Bundesinnenministeriums. Sie rechnen damit, dass die Verschärfungen des Rückführungsverbesserungsgesetzes, das derzeit im Bundestag beraten wird, gerade mal 600 Abschiebungen zusätzlich bringt, 600 – pro Jahr.
Die Migrationsfrage ist die Schicksalfrage für Europa
Wer Melonis Coup als „italienisches Guantanamo“ abtut, macht es sich dennoch zu einfach. Wenn die EU umstrittene Alleingänge wie den Melonis verhindern will, muss sie eben selbst dafür sorgen, dass ihr eigenes, vor Jahren präsentiertes Asylpaket endlich Gesetz wird. Denn die Migration ist Europas Schicksalsfrage. Es geht darum, wieviel Abschottung wir uns leisten dürfen, ohne unsere Werte zu verraten. Und darum, wieviel Abschottung wir uns leisten müssen, um den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg rechts- und linksextremer Parteien in Europa zu bremsen. Denn eines zeigen Umfragen immer wieder: fehlende Lösungen bei der Migration und das Erstarken der politischen Ränder hängen unmittelbar zusammen.
Die beste Lösung wäre, wenn die Migranten, die keinerlei Aussicht auf Asyl haben, sich erst gar nicht auf den Weg nach Europa machen. Die gute Nachricht ist, dass den Europäern genau hier schon einmal ein seltener Erfolg vergönnt war. Die Rede ist vom Flüchtlingsabkommen mit der Türkei aus dem Jahr 2016. Es funktioniert simpel: die Türkei verhindert, dass Migranten nach Griechenland aufbrechen, also in die EU kommen. Die Frage der Rückführung stellt sich also erst gar nicht - anders als bei Melonis Plan. Im Gegenzug finanziert die EU Unterkünfte, Schulen und Versorgung der Migranten in der Türkei.
Recep Tayyip Erdogan und die EU haben das Geschäft der Schlepper zerstört
Natürlich, auch dieses Abkommen hat seine Tücken, das beginnt schon mit dem Vertragspartner, Autokrat Erdogan. Auf der anderen Seite aber hat der Türkei-Deal das Geschäftsmodell der Schleuser in der Ägäis zerstört und die gefährlichen Überfahrten in kaum seetüchtigen Schlauchbooten für geraume Zeit verhindert.
Genau darum geht es. Daher muss dieser Vertrag Blaupause für weitere Abkommen sein, auch wenn ein erster Versuch mit Tunesien bislang keine Früchte trägt. Die EU hat durchaus Möglichkeiten, Herkunfts- und Transitländer zur Kooperation zu bewegen. Die Drohung mit der Kürzung von Entwicklungshilfe gehört dabei genauso auf den Tisch, wie auf der anderen Seite Visa-Erleichterungen und ja, das Angebot von neuen, legalen Wegen der Migration.
Es ist daher richtig, wenn Kanzler Olaf Scholz und die Länder in der langen Migrationsnacht zu Dienstag beschlossen haben, das Türkei-Abkommen neu zu beleben. Wichtig wäre allerdings auch, dass dies nicht das letzte Abkommen dieser Art bleibt.