Es sieht nicht gut aus für Donald Trump – oberflächlich betrachtet. Als zweiter Bundesstaat nach Colorado hat nun auch Maine den führenden Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur von der Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen. Bleibt die Entscheidung bestehen, hätte sie für den 77-Jährigen ernste Konsequenzen. Doch so weit ist es noch lange nicht. Und mutmaßlich wird es dazu auch niemals kommen. Deshalb ist Vorsicht angebracht bei der Einordnung der jüngsten Entscheidung. Für Jubelstürme besteht jedenfalls kein Anlass.
So sehr man sich nämlich wünschen muss, dass der demokratieverachtende Rechtspopulist von der politischen Bühne der USA verschwindet: Sein Ausschluss von den Wahlen aufgrund eines bislang unerprobten Verfassungszusatzes von 1868 ist juristisch umstritten, politisch extrem heikel und praktisch bis auf weiteres wirkungslos. Zwar sind nach dem einschlägigen Paragraphen Teilnehmer eines Aufstandes von künftigen hohen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, doch ist unklar, ob dies auch auf Präsidenten zutrifft und wer das entscheiden kann. Das Landesverfassungsgericht von Colorado und die Innenministerin von Maine haben Trump disqualifiziert, die obersten Gerichte in Minnesota und Michigan haben bei gleicher Faktenlage entsprechende Klagen zurückgewiesen.
Präsidentschaftskanditatur Trumps wird vor Supreme Court ausdiskutiert
Damit ist klar: Der Streit wird am Ende vom obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court, entschieden werden müssen. Bis zu dessen Entscheidung sind die Urteile erst einmal ausgesetzt. Trump kann also weiter in den ganzen USA um Stimmen werben. Der Supreme Court aber muss in der heißen Phase des Wahlkampfes entscheiden, ob er einen der beiden mutmaßlichen Kandidaten aus dem Rennen nimmt. Das wäre schon in einer gefestigten Demokratie eine extrem brisante Entscheidung. Im extrem polarisierten gesellschaftlichen Klima der USA käme eine Disqualifizierung Trumps durch das höchste Gericht einer politischen Atomexplosion gleich. Ob der mehrheitlich stramm rechts besetzte, ohnehin mit einem dramatischen Ansehensverlust kämpfende Supreme Court dazu den Mut hat, kann man zumindest in Frage stellen. Eher könnten die Richter geneigt sein, ihre Entscheidung bis nach der Wahl auf die lange Bank zu schieben.
Doch auch politisch bergen die Vorstöße enorme Risiken. Trump ist ein gewissenloser Mann. Er hat tausendfach gelogen, betrogen, verleumdet und am 6. Januar 2021 einen Putschversuch angezettelt. Doch für seine Straftaten sind die Gerichte zuständig, wo derzeit vier Verfahren laufen. Seinen Ausschluss von politischen Ämtern hätte der Kongress beschließen können und müssen. Den entsprechenden Voten hat sich das Parlament aber in zwei Impeachment-Verfahren verweigert.
Ausschluss Trumps wäre Turbo für Verschwörungsmythen
Wenn nun durch die Hintertür eines obskuren Verfassungszusatzes buchstäblich in letzter Minute seine Kandidatur verhindert würde, wäre das ein Turbo für die Verschwörungsmythen seiner Anhänger, die ihr Idol ohnehin als Opfer einer politischen Intrige sehen. So paradox es klingt: Wahrscheinlich könnte Trump kaum etwas Besseres passieren als eine historisch beispiellose Disqualifizierung. Sie würde ihn endgültig zum Märtyrer des "deep state" machen, seine bedingungslos loyale Basis bis an den Rand eines Bürgerkrieges aufputschen und mutmaßlich statt seiner eine trumpistische Marionette ins Weiße Haus spülen.