Es ist eher ein Gebirgsmassiv als ein Berg an Leid und Zerstörung, das das Regime unter Baschar al-Assad und dessen Vater und Vorgänger Hafiz in den letzten fünf Jahrzehnten aufgetürmt hat. Die Zustände im „Schlachthaus“ genannten Saidnaja-Gefängnis stehen für die Grausamkeit der nun untergegangenen Diktatur. Bis zu 200.000 Menschen gelten als vermisst. Dass im Westen noch kürzlich verstärkt Forderungen aufkamen, Teile Syriens als sicher genug anzuerkennen, um Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken, ist kaum zu fassen.
Fast lautlos fiel die Diktatur in sich zusammen - hilflos angesichts der schwindenden Unterstützung Russlands und der Hisbollah. Es waren in erster Linie Syrer, die das Regime besiegt haben - und dafür von großen Teilen der Bevölkerung als Befreier bejubelt wurden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass einige der islamistischen Rebellengruppen von der Türkei oder auch Katar unterstützt wurden.
Nach Ende des Assad-Regimes wurden schnell Abschiebe-Forderungen in Deutschland laut
Manche Reaktionen in Deutschland waren schäbig. Kaum war Damaskus in der Hand der Rebellen, kaum fielen die hohlen Köpfe der Denkmäler von Hafiz al-Assad, orakelten Politiker bereits über Abschiebungen von Syrern im großen Stil. Ganz so, als habe sich das Land mit dem Ende der Diktatur blitzartig in einen Hort von Frieden und Harmonie verwandelt, der den Heimkehrern eine sichere Zukunft garantieren kann.
Sicher ist derzeit kaum etwas in Syrien, das faktisch in verschiedene Machtzentren geteilt ist, kontrolliert durch Rebellengruppen, Warlords, kurdische oder von der Türkei unterstützte Truppen. Das Potenzial für innere Spannungen ist enorm. Die Interessen von Sunniten, Alawiten, Drusen, Kurden, Jesiden oder Christen gehen oft diametral auseinander - viele Rechnungen sind offen, die Aufarbeitung der Gräueltaten des Regimes ist eine Herkulesaufgabe.
Minderheiten nichts zu befürchten? Aus Syrien kommen nun immerhin moderate Töne
Aufhorchen lässt immerhin die moderate Tonlage, die der neue starke Mann in Damaskus, der Chef der Rebellengruppe HTS, Ahmed al-Scharaa, angeschlagen hat. Immer wieder versichert er, dass Minderheiten nichts zu befürchten hätten. Der frühere Kämpfer der radikal-islamistischen Terrorgruppe Al-Kaida bekannte sich zur Zusammenarbeit mit den UN, versicherte, dass er staatliche Strukturen aufrechterhalten und den Staat Syrien vor dem Zerfall bewahren wolle.
Das möchte man nur zu gerne glauben. Doch weder ist bisher klar, ob man al-Scharaa beim Wort nehmen kann, noch ob er in der Lage sein wird, sein Wort zu halten, falls er tatsächlich meint, was er sagt. Denn die kaum zu überblickende Zahl von politischen und militärischen Akteuren dürfte nur schwer zu kontrollieren sein, wenn es um die Verteilung der Macht im Land geht. Vor diesem Hintergrund sollte der Westen pragmatische Schritte angehen. Überspannte Erwartungen, dass jetzt in Syrien Demokratie, Pluralismus Einzug halten werden, sind bis auf Weiteres völlig vermessen.
Jetzt geht es darum, Kontakte mit den dialogbereiten Kräften unter den Siegern zu knüpfen, humanitäre Hilfe zu leisten - kurz, Unterstützung anzubieten, wenn es darum geht, für Stabilität zu sorgen. Wenn dies gelingt, werden viele der bis zu fünf Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Ausland wieder zurückkehren.
Und es geht darum, Israel deutlich zu machen, dass der gewaltige Umfang der Zerstörung der Infrastruktur und Waffen der geschlagenen syrischen Streitkräfte durch Luftangriffe, insbesondere aber der Vormarsch in die Pufferzone am Golan, genau dieses Ziel gefährdet.
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