Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. In ihrem Bemühen, den Menschen die Angst vor einem Alter in Armut zu nehmen, geht die Große Koalition bisher reichlich naiv zu Werke. Sie will die Mütterrente noch etwas ausweiten, die Renten für Menschen mit einer Erwerbsminderung anheben, Geringverdienern einen Zuschuss zu ihren schmalen Renten zahlen und das Niveau der gesetzlichen Rente nicht weiter fallen lassen. Für jeden dieser Schritte gibt es gute Gründe – in der Summe allerdings türmen sie sich zu einem Berg an Verpflichtungen, die sich auch ein so robuster Sozialstaat wie unserer nur in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten leisten kann.
Auf welches Problem ein schleichend vergreisendes Land zusteuert, zeigt eine neue Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle: Wenn wir auch in Zukunft nicht länger als bis zum 67. Lebensjahr arbeiten wollen und die Beiträge zur Rentenkasse nicht über 20 Prozent steigen sollen, müssen danach jedes Jahr 528000 Arbeitskräfte im Alter von 20 bis 25 Jahren nach Deutschland einwandern, ihre Eltern, Kinder und viele schlecht ausgebildete oder schwer vermittelbare Flüchtlinge nicht mitgerechnet. Andere Studien wollen die Lücke mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um bis zu sechs Prozentpunkte schließen.
Bei solchen Aussichten fühlen sich vor allem viele junge Beschäftigte sehr schnell sehr unbehaglich. Und mit jedem Jahr, das die Politik verstreichen lässt, wird ein Szenario wie das aus Halle realistischer. 21 Millionen Rentner sind auch 21 Millionen Wähler – entsprechend gering ist die Bereitschaft der Parteien, in ein System einzugreifen, das auf den ersten Blick ja noch ganz gut funktioniert. Die Renten steigen, die eiserne Reserve ist mit 33 Milliarden Euro gut gefüllt und der Beitragssatz zuletzt sogar ein wenig gesunken. Dass der Bund bereits jetzt jedes Jahr 90 Milliarden Euro an die Rentenkassen überweist: geschenkt. Dem Rentner ist es letztlich egal, woher sein Geld kommt.
Auf schlechte Zeiten allerdings ist das System nicht vorbereitet. Das Renten-Dilemma beginnt mit den Riester-Verträgen, bei denen viel zu viel Geld in Provisionen und Bürokratie fließt und die Renditen immer schlechter werden. Es setzt sich mit unsinnigen Reformen wie der abschlagsfreien Rente mit 63 fort und erreicht seinen Höhepunkt beim Rentenalter. Obwohl wir immer älter werden und immer länger fit bleiben, empfinden viele Versicherte heute schon die Rente mit 67 als Zumutung. Tatsächlich wird spätestens die Generation ihrer Kinder bis 70 arbeiten müssen, wenn die gesetzliche Rente noch mehr sein soll als eine Art Mindestabsicherung. Gleichzeitig allerdings können Betriebsrenten und private Vorsorge die Lücke kaum schließen, die die Demografie in den gesetzlichen Kassen reißt.
Schweden hat sich in einer ähnlichen Situation bereits 1999 zum Umsteuern entschlossen und eine verpflichtende private Zusatzrente eingeführt, deren Fonds mit deutlich geringeren Kosten arbeiten als die Riester-Policen und deshalb auch deutlich mehr abwerfen. In Deutschland dagegen verdient an der privaten Vorsorge vor allem die Finanzwirtschaft.
Ein Modell nach schwedischem Vorbild, ergänzt um eine Renaissance der Betriebsrenten und eine längere Lebensarbeitszeit bei der gesetzlichen Rente würde auch unser System deutlich stabilisieren, es unabhängiger von konjunkturellen Zyklen machen und das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Sozialpolitik stärken. Andernfalls kommt es bereits in wenigen Jahren zum Schwur, wenn die ersten geburtenstarken Jahrgänge sich in den Ruhestand verabschieden.