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Kommentar: Seehofer ist ein Entfesslungskünstler

Kommentar

Seehofer ist ein Entfesslungskünstler

Margit Hufnagel
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    Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat.
    Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Gleich zwei Assistenten müssen ran, um ihn publikumswirksam in der Zwangsjacke zu fixieren und ein Seil um seine Füße zu binden. Kopfüber baumelt der gefesselte Mann von einem Kran. Doch kaum drei Zuckungen später hat er schon den Arm aus der Schlinge befreit. Mit Zähnen und verwegenen Windungen löst er sich und landet schließlich mit beiden Beinen auf dem Boden. Houdini gilt als der größte Entfesselungskünstler aller Zeiten. Ein Illusionist, der seinesgleichen sucht.

    Einen politischen Nachfolger könnte er in diesen Tagen in Berlin finden: Horst Seehofer braucht keine Helfer, er legt sich kurzerhand selbst in Fesseln, ehe er bald darauf den Befreiungsschlag verkündet. Und tatsächlich gibt es Wähler, die dem Innenminister mit den scheinbar übernatürlichen Kräften applaudieren: Die Umfragewerte der CSU in Bayern jedenfalls steigen überraschenderweise an. Und an Ministerpräsident Söder kann’s nicht liegen – dessen Zustimmungswerte sind nicht zufriedenstellend. Die Methode Seehofer, sie könnte wieder einmal erfolgreich gewesen sein.

    Es gehört zur CSU-Folklore, den Kanzler anzugreifen

    Irgendwie gehört es ja zur CSU-Folklore, dem jeweiligen Regierungschef in Berlin das Leben schwer zu machen. Der bayerische Raufbold, das Image muss schließlich gepflegt werden. Die Frage ist, ob Seehofer wirklich dauerhaft die Deutungshoheit über die Debatte um seine Person zurückbekommt. Ob die Anmutung des Wahnsinnigen an ihm hängen bleibt. Oder ob die Erzählung vom letzten prinzipientreuen Politiker auf fruchtbaren Boden fällt.

    Denn ein CSU-Chef darf vieles. Er darf poltern, er darf fluchen, er darf sogar die Kanzlerin erpressen. Nur eines wollen die Bayern nicht – sich für ihn schämen. Schon so mancher hat das ausgeblendet. Und da hat Seehofer die rote Linie zumindest mit einem Fuß schon überschritten. Dass er mit dem anderen noch festen Halt hat, liegt daran, dass er zu allem entschlossen war: Seehofer war bereit, seine Karriere zu opfern – Merkel nicht. Die Rolle des Märtyrers hat ihn nicht geschreckt, der Kanzlerin sind solch dramatische Anwandlungen eher fremd.

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    Der Masterplan ist in Wahrheit nur ein schnöder Bayernplan

    Ist in Wahrheit also sie in der Flüchtlingskrise die Macht-Strategin, die ihre humanitäre und europäische Überzeugung opfert, und er der tapfere Sachpolitiker? Zumindest in der Asylpolitik hat Merkel ihren Weg längst verlassen, während Seehofer konsequent bleibt bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus. Man könnte von einer Entmerkelung und Seehoferisierung der Politik sprechen. Und es ist der Innenminister, dem viele Menschen zutrauen, die in ihren Augen verloren gegangene Kontrolle zurückzugewinnen. Doch der CSU-Chef ist eben auch ein Illusionist: Sein Einsatz für die Transitzentren ist in Wahrheit nur ein Zwergenaufstand, ein schnöder Bayernplan, der gerne der große Wurf wäre. Deutschland hat mehr Grenzen als jene zu Österreich. Was ist mit Frankreich, der Schweiz, mit den Dänen? Ein Gesamtkonzept hat der Innenminister nicht vorgelegt. Und ist nicht auch die „Fiktion der Nichteinreise“ am Ende nur ein missglückter Zaubertrick?

    Seehofers Bravourstück steht noch aus

    Sein eigentliches Bravourstück steht ohnehin noch aus. Seehofer muss durch die europäischen Hauptstädte tingeln, um Abnehmer für zurückgewiesene Flüchtlinge zu finden. Ob ihm die Rolle des Bittstellers genauso liegt wie die des Polit-Revoluzzers? In seiner testosterongesteuerten Gegnerschaft zu Merkel hat Seehofer schnell eine Wellenlänge mit Wien, Budapest und Rom gefunden. Doch sobald man dort den Eindruck gewinnt, die Last der neuen deutschen Flüchtlingspolitik tragen zu sollen, wird sich Seehofer schnell einer Achse der Unwilligen gegenüber sehen, die er nicht mit Rücktrittsdrohungen erpressen kann.

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