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Kommentar: Scholz muss in Washington egoistisch sein

Kommentar

Scholz muss in Washington egoistisch sein

Stefan Lange
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    Bundeskanzler Olaf Scholz ist elf Monate nach seinem letzten Besuch bei US-Präsident Joe Biden wieder nach Washington gereist.
    Bundeskanzler Olaf Scholz ist elf Monate nach seinem letzten Besuch bei US-Präsident Joe Biden wieder nach Washington gereist. Foto: Susan Walsh, AP

    Sie haben zwischendurch telefoniert. Aber das sei, heißt es in deutschen Regierungskreisen, kein Ersatz für ein persönliches Gespräch. Also hat sich Kanzler Olaf Scholz ins Flugzeug gesetzt und ist elf Monate nach seinem letzten Besuch im Weißen Haus erneut in die USA geflogen. Bei seinem Gespräch mit Präsident Joe Biden an diesem Freitag werden der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Lage im Nahen Osten im Mittelpunkt stehen. Das Treffen mutet fast schon ein wenig bizarr an: Ein in Deutschland mit schlechten Umfragewerten kämpfender Bundeskanzler trifft auf einen Präsidenten, der sich im Alter von 81 Jahren noch einmal in den Wahlkampf stürzt. Politische Dynamik sieht auf den ersten Blick anders aus, doch das Treffen der beiden Regierungschefs ist eines der wichtigsten in der langen Geschichte der transatlantischen Beziehungen. 

    Zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine war Deutschland sehr mit sich selbst beschäftigt, die politische Debatte drehte sich vor allem um die Frage, was im Umgang mit Russland falsch gemacht wurde. Gleichzeitig verließ sich Deutschland wie die gesamte EU und die ganze Nato darauf, dass die Vereinigten Staaten weiterhin als europäische Sicherheitsmacht funktionieren werden. Ein Fehler, wie sich heute zeigt.

    Friedensdividende ist aufgebraucht: Deutschland muss stärker selbst bezahlen

    Die Friedensdividende der deutschen Einheit ist aufgebraucht, das gilt für die Nachbarländer ebenso wie für den mächtigen Freund in Washington. Bereits unter Donald Trump mehrten sich die Einschätzungen, wonach vor allem Deutschland lange genug von der Schutzmacht USA profitiert habe und nun für seinen Schutz stärker selbst bezahlen solle. Dieser Kurs setzt sich unter Biden fort, nicht nur die gegnerischen Republikaner stützen ihn. Wenn Washington bei der Hilfe für die Ukraine zögerlicher wird – und danach sieht es gerade sehr aus –, dann ist auch das genau Ausdruck dieser Haltung. 

    Deutschland muss nicht nur in der Sicherheitspolitik umdenken. Der von Biden initiierte US-Inflation Reduction Act ist ein Alarmsignal für die Wirtschaftspolitik. Die Amerikaner locken mit Standortbedingungen, bei denen Deutschland kaum mithalten kann. Gleichzeitig treibt das Konjunkturprogramm die Staatsschuldenquote der USA in schwindelerregende Höhen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt sie bei mehr als 120 Prozent, das Doppelte des deutschen Wertes. Die Konsequenz: Washington muss sparen und wird seine Unterstützung für andere Länder weiter zusammenstreichen.

    Deutschland braucht die USA weiterhin

    Deutschland ist auf die Protektion der USA gleichwohl weiter angewiesen, denn die Alternativen funktionieren nicht: In der Europäischen Union mangelt es an Zusammenhalt, um die eigenen strategischen und technologischen Fähigkeiten dauerhaft zu stärken. Und ein anderer strategischer Partner als die USA ist nicht vorstellbar. 

    Kanzler Scholz muss bei seinem Besuch in Washington also egoistisch vorgehen und um eine engere bilaterale Zusammenarbeit zwischen Washington und Berlin werben. An guten Argumenten mangelt es nicht. „Made in Germany“ ist in den Staaten immer noch eine angesehene Marke, deutsche Ingenieurskunst wird nicht nur im Klimabereich weiter gut honoriert. Deutschland gibt Milliarden Euro in die Bundeswehr und kann am Ende womöglich tatsächlich die USA entlasten, die sich in einer neuen Blockbildung aus Angst vor China verstärkt dem indopazifischen Raum zugewendet haben. Wenn Scholz mutig ist, startet er gar einen Neuanlauf für ein transatlantisches Handelsabkommen. 

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