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Rücktritt von Anne Spiegel: Politiker sollten Menschen sein dürfen

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Rücktritt von Anne Spiegel: Politiker sollten auch Menschen sein dürfen

Lena Jakat
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    Anne Spiegel ist am Montag als Familienministerin zurückgetreten.
    Anne Spiegel ist am Montag als Familienministerin zurückgetreten. Foto: Annette Riedl, dpa

    Eins vorweg: Es ist richtig, dass Familienministerin Anne Spiegel zurückgetreten ist. Zu massiv sind die Zweifel an Spiegels Verhalten als rheinland-pfälzische Umweltministerin während der Flut im Ahrtal, zu schwer wiegen die Vorwürfe: Ihr Ministerium soll auf Warnhinweise des Landesamtes für Umwelt nicht schnell genug reagiert haben. In den ersten Stunden dieser Katastrophe, die 134 Menschen das Leben und Tausende ihre Existenz gekostet hat, hatte für Spiegel die Rettung ihres eigenen Images höchste Priorität. Das zumindest legen geleakte SMS nahe. Und vor allem: Spiegel hat die Unwahrheit gesagt. Zunächst hatte die Ministerin angegeben, an allen Sitzungen des rheinland-pfälzischen Kabinetts im vergangenen Sommer per Videoschalte teilgenommen zu haben, wenig später stellte sich heraus: Das stimmt nicht, sie war bei keiner einzigen Sitzung dabei.

    Das alles reicht für einen Rücktritt locker aus, das könnten so einige bezeugen, die aus geringfügigeren Gründen ihren Hut nehmen mussten. Diese Vorwürfe werden in der öffentlichen Debatte jedoch von einem weiteren vermeintlichen Vergehen überlagert: Spiegels vierwöchigem Sommerurlaub in Frankreich, den sie zehn Tage nach der Flut antrat und den sie noch am Sonntag in einem persönlichen Statement zu erklären versuchte. Ihr kranker Mann und ihre vier kleinen Kinder hätten diese Auszeit nach den Belastungen durch die Pandemie einfach gebraucht, sagte die Ministerin.

    Diskussion um Anne Spiegel: Es fällt uns schwer, der Spitzenpolitik menschliche Züge zuzugestehen

    Die reflexhafte Empörung über die Auszeit der Familie Spiegel – Wir hatten es auch schwer! Vier Wochen! Was ist mit den Flutopfern? – ist verständlich, greift aber zu kurz. Viel zu kurz. Das Recht auf Erholungsurlaub ist in Deutschland ein hohes Gut und zwar nicht aus reiner Nettigkeit, sondern um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme am Laufen zu halten. Angestellte, Chefinnen, auch Ärztinnen, Polizisten oder THW-Mitarbeiter machen Urlaub. Sie alle brauchen Auszeiten, um ihre Arbeit dauerhaft leisten zu können. Wir akzeptieren das, weil wir wissen, dass die Systeme nur so gut sind, wie die Menschen, die sie tragen.

    Wenn dagegen an Politikerinnen und Politikern ihre menschliche, ihre schwache Seite sichtbar wird, führt das immer wieder zu Irritationen: Man denke an Merkels rätselhaftes Zittern, an Familienministerin Kristina Schröders Schwangerschaft – oder an die Debatte um Spiegels familiäre Situation. Menschliche Züge, die man Führungsfiguren in der Wirtschaft inzwischen immer häufiger zugesteht, mit dem Bild von politischer Führung zu vereinbaren, fällt immer noch schwer.

    Der Fall Anne Spiegel zeigt, dass sich die Politik und die Erwartungen der Wähler ändern müssen

    Wenn wir nicht nur in den Führungskreisen der Privatwirtschaft statt quasi familienloser älterer Herren eine Vielfalt der Perspektiven, der Geschlechter und Lebensentwürfe wollen, sondern eine solche Mischung auch für die Politik anstreben, dann müssen wir den handelnden Personen mehr Menschlichkeit zugestehen und mit dieser Menschlichkeit umzugehen lernen. Mit der Tatsache etwa, dass auch Politikerinnen und Politiker ein Privatleben haben, dass sie Eltern sind oder Kinder pflegebedürftiger Eltern. Dass sie, um ihre Aufgaben dauerhaft zuverlässig erfüllen zu können, hin und wieder Privates priorisieren müssen – ihre Gesundheit, ihre Kinder. Das allerdings wird nur gelingen, wenn sich das Verständnis von Amt und Amtsführung grundlegend verändert.

    Schlagworte wie Präsenzkultur oder Mikromanagement gelten in der Privatwirtschaft als altmodisch, ja, als dysfunktional und überholt – und bezeichnen genau das, was in der Politik nach wie vor erwartet wird: Führungspersonen, die ständig sichtbar und persönlich auch in die noch so kleinen Vorgänge involviert sind. Wenn wir moderneres, menschlicheres Personal in der Politik wollen, muss sich auch die politische Arbeit verändern. Und die Erwartungen der Wähler.

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