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Kommentar: Resignation, Frustration, Konfrontation – die bittere Bilanz des Sebastian Kurz

Kommentar

Resignation, Frustration, Konfrontation – die bittere Bilanz des Sebastian Kurz

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    Sebastian Kurz verlässt die Politik - und hinterlässt einen Scherbenhaufen.
    Sebastian Kurz verlässt die Politik - und hinterlässt einen Scherbenhaufen. Foto: Lisa Leutner, dpa

    In Österreich, das wissen Landsleute, ist man ja gerne Weltmeister. Und in einem ist man hierzulande wirklich spitze: Im Sprengen, Umbilden oder Neuwählen von Regierungen. Sechs, streng genommen eigentlich sieben, Regierungschefs in nur vier Jahren – das macht in Europa kaum jemand nach. Mit einer weltmeisterlichen Hybris war Sebastian Kurz, der Wunderkanzler, der Prototyp eines neuen Konservativen, 2017 als Bundeskanzler gestartet. Nun, nach noch nicht einmal vier Jahren netto Regierungszeit, verlässt er die politische Bühne und damit auch die von ihm zur türkisen „Bewegung“ geformte „Neue Volkspartei“. Hinter ihm: ein Scherbenhaufen.

    Schuld bei sich selber suchen? Nicht mit Sebastian Kurz

    Nichts aber liegt Kurz ferner, als das einzugestehen: Wie so oft in den vergangenen Jahren sind die anderen schuld. Er habe sich wie ein „Gejagter“ gefühlt, sagte er in seiner Abschiedsrede und meinte damit die Justiz. Die sieht ihn im Zentrum eines riesigen Korruptionsskandals um gefälschte Umfragen und Untreue, und all das habe ihm ein wenig von seiner „hundertprozentigen Begeisterung“ genommen, mit der er Politik gemacht habe. Der eigentliche Rückzugsgrund aber sei die Geburt seines Sohnes gewesen. Verantwortung zu übernehmen, etwa für das Corona-Chaos als Konsequenz seiner Selbstprofilierung während der Pandemie – das ist für Kurz unmöglich.

    Appelle in Richtung Ausgleich, ja Zusammenhalt in dieser krisenhaften Zeit, wie man sie von Angela Merkel beim Großen Zapfenstreich gehört hat – auch sie kommen einem wie ihm nicht über die Lippen. Selbst im Abgang gibt Kurz das Bild eines selbstbezogenen, eitlen Machtmenschen und nicht das eines Staatsmannes.

    Sebastian Kurz verlässt die Politik - und hinterlässt einen Scherbenhaufen.
    Sebastian Kurz verlässt die Politik - und hinterlässt einen Scherbenhaufen. Foto: Lisa Leutner, dpa

    „Veränderung“ war das Motto, das Kurz ausgegeben hatte. Was damit gemeint war, sehen die Österreicher erst jetzt: Die einst christlich-sozial ausgerichtete Mitte-Partei ÖVP ist stark nach rechts gerückt, seit Kurz dominiert das Migrationsthema und seine Minister nutzten jede Gelegenheit, um mit ihrem „Kampf gegen den politischen Islam“ Stimmung gegen Muslime zu machen. Von der stolzen Tradition des humanitären Engagements für Geflüchtete ist nichts übrig. Die kritische Presse – jene Journalisten, die sich weigerten, zu Kurz-Jüngern zu mutieren – erlebte Repressionen von ganz oben.

    Sebastian Kurz ist gescheitert, der Rechtspopulismus in der ÖVP wird bleiben

    Wer glaubt, jetzt würden die Konservativen wieder zu ihren „schwarzen“ Wurzeln zurückkehren, irrt: Der Rechtspopulismus wird bleiben, er ist eines der Erbstücke des Kurz-Projekts. Die mächtigen ÖVP-Landeshauptleute tauschten zwar einige der Kurz-treuen Minister aus – manche aber, um sie aus der Schusslinie der Korruptionsermittlungen zu nehmen. Das ist Taktik und kein Schlussstrich: Viele aus der Kurz-Entourage bleiben, teils an zentralen Schaltstellen. Das Bild, das die schwarzen Länderchefs bei ihrer Aufräumaktion abgeben, ist fatal: Sie fuhrwerken in den höchsten Ämtern der Republik, als wäre es ihr Schrebergarten. Man lernt: In Österreich sind es die ÖVP-Landeshauptleute, die hinter verschlossenen Türen nach eigenem Gutdünken das Kanzleramt bestellen, Minister leben lassen oder ins Aus schießen. Bei den Österreichern führt das nur zu noch mehr Resignation, Misstrauen und Frustration. Sie haben den permanenten Ausnahmezustand, der seit Kurz’ erster Kanzlerschaft herrscht, satt. Kaum je war das gesellschaftliche Klima so angespannt, ja aggressiv.

    Das rechtspopulistische Projekt der ÖVP namens „Neue Volkspartei“, das unter ihrem messiasgleichen Anführer autoritäre Züge angenommen hatte, ist gescheitert. Die Schäden in Politik und Gesellschaft bleiben. Und das inmitten der Corona- und Klimakrise.

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