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Kommentar: Putin zeigt auf die Ukraine, um seine eigenen Versäumnisse zu kaschieren

Kommentar

Putin zeigt auf die Ukraine, um seine eigenen Versäumnisse zu kaschieren

Rudi Wais
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    Wladimir Putin (hier vor wenigen Tagen bei einer Rede nach den Präsidentschaftswahlen) will der Ukraine die Schuld für den Anschlag am Freitag nahe Moskau geben.
    Wladimir Putin (hier vor wenigen Tagen bei einer Rede nach den Präsidentschaftswahlen) will der Ukraine die Schuld für den Anschlag am Freitag nahe Moskau geben. Foto: Alexander Zemlianichenko, dpa/AP

    Wladimir Putin hat ein paar Jahre in Deutschland gelebt – und wer weiß, ob ihm in dieser Zeit nicht auch ein altes Sprichwort begegnet ist, nach dem jemand tunlichst nicht mit dem Finger auf andere zeigen sollte, weil drei Finger immer auf einen selbst zurückzeigen.

    Genau das allerdings tut der russische Präsident nach dem Attentat von Freitagabend. Er zeigt mit dem Finger auf die Ukraine, die er für die Toten in Krasnogorsk verantwortlich macht – während gleichzeitig drei Finger anklagend auf ihn selbst, seine Handlanger im Kreml und seinen Sicherheitsapparat zeigen. Sie haben die Warnungen westlicher Dienste vor einem bevorstehenden Anschlag auf eine Großveranstaltung als billige Propaganda abgetan, als plumpen Versuch der Destabilisierung, sie ignorieren die Bekennerschreiben und -videos des Islamischen Staates, die Terrorexperten in aller Welt für echt halten. Und sie wiederholen ein häufig benutztes, aber nie bewiesenes Narrativ, nach dem die

    Putins Propaganda fällt auf fruchtbaren Boden

    Rational betrachtet sind diese Argumente so dumm wie falsch. Das aber heißt nicht, dass sie in Russland nicht auf fruchtbaren Boden fallen können. Putins Ablenkungsmanöver verfangen bei den Hinterbliebenen der gefallenen Soldaten oder den Angehörigen der Toten vom Freitag vielleicht nicht mehr. Weite Teile des Riesenreiches aber sind für seine Desinformationspolitik noch immer empfänglich. Millionen Russen kennen keine andere Welt als die, die ihnen Putin und sein Propagandaapparat jeden Tag per Staatsfernsehen ins Haus liefern.

    Das Manöver, das der Präsident am Samstag gestartet hat, ist jedenfalls reichlich durchsichtig. Er versucht, der Ukraine die Schuld für den Anschlag in die Schuhe zu schieben, um die eigenen Versäumnisse und Fehleinschätzungen zu kaschieren. Zu glauben, der vermeintliche Feind sitze in Kiew oder Washington, ist jedenfalls reichlich naiv. Islamistische Anschläge haben in Russland eine lange Tradition, sie reichen zurück bis in die ersten Monate des Tschetschenienkrieges 1999 und erlebten mit den Geiselnahmen in einem Moskauer Theater 2002 und an einer Schule in Beslan im Nordkaukasus 2004 mit Hunderten von Toten traurige Höhepunkte. Der Angriff auf die Konzerthalle in Krasnogorsk fügt sich nahtlos ein in diese Chronik des Terrors.

    In Putins kruder Parallelwelt kann nicht sein, was nicht sein darf

    Putin weiß das natürlich, in seiner kruden Parallelwelt allerdings kann nicht sein, was nicht sein darf. Hat er den Islamischen Staat nicht schon 2017 nach dem russischen Militäreinsatz in Syrien für endgültig besiegt erklärt? Wie nach früheren Anschlägen auch versucht er nun erneut, aus einem Moment der Schwäche wieder in eine Position der Stärke zu kommen, indem er hart durchgreift und sich als besonders entschlossenen Anti-Terror-Kämpfer inszeniert. Und das verfängt in Russland durchaus. An den vielen Toten in Beslan etwa waren Putins Einsatzkräfte mit ihrer planlosen Erstürmung der Schule seinerzeit nicht unschuldig. Wenig später allerdings kletterten die Popularitätswerte des Präsidenten auf ein neues Rekordhoch.

    Für den Krieg in der Ukraine bedeutet das nichts Gutes. Wenn der Kreml bei seiner Linie bleibt, nach der die Regierung in Kiew mindestens Helfer, wenn nicht gar Auftraggeber für das Massaker war, wird Putin im dritten Kriegsjahr sicher keinen Gang zurückschalten. Dass eine neue russische Offensive damit auf einer Lüge gründen würde, ist ihm so gleichgültig wie die Toten von Krasnogorsk. 

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