Die Pause ist vorbei. Am Donnerstag sitzt Wladimir Putin wieder in einer - je nach Blickwinkel - beeindruckenden oder grotesken Kulisse, um über Stunden Fragen von Bürgern und handverlesenen Journalisten zu beantworten. 2022 noch war die Karikatur einer Pressekonferenz unter dem Titel „Direkter Draht“ ausgefallen. Zu stark erschien dem Kreml die Unruhe nach der Teilmobilmachung für 300.000 Soldaten.
Selbstbewusst, siegesgewiss, aggressiv - dies sind Attribute, die dem russischen Präsidenten zuletzt häufig zugeschrieben wurden. Und auch, wenn Putin bei seiner Presse-Show phasenweise etwas fahrig wirkte, ist unübersehbar, dass sich der Machthaber im Aufwind sieht. Dafür gibt es Gründe - jenseits der Moskauer Propaganda. Die ukrainische Offensive ist eine Enttäuschung für Kiew. Die Verteidiger und die russischen Invasoren stehen sich in einem grausamen Abnutzungskrieg gegenüber. Doch wer hätte zu Beginn des kriminellen Überfalls gedacht, dass dies einmal als russischer Erfolg eingeordnet werden würde? Die Ansprüche der Atommacht mussten der Realität weichen.
Freuen wird Putin, der im Frühjahr 2024 erneut für das Präsidentenamt kandidieren wird, dass die Unterstützung für die Ukraine in Europa und vor allem den USA gefährlich bröckelt. Präsident Wolodymyr Selenskyj fällt es immer schwerer, die Partner für den Abwehrkampf zu begeistern, wie aktuell in Washington zu beobachten war. Putin hingegen hat sich in Teilen erfolgreich aus seiner diplomatischen Isolation lösen können. Viele Staaten verschließen sich schon aus Prinzip einer westlich dominierten Front gegen Moskau.
Diese Entwicklungen haben den Kreml-Chef bestärkt, als Grundlage für Friedensverhandlungen nicht weniger als die faktische Kapitulation der Ukraine zu fordern. Diesen Gefallen wird Selenskyj Putin nicht tun. Also wird weiter gelitten und gestorben in der Ukraine - die Opfer gehen auf das Konto Putins und seiner Schergen.
Die Verluste Russlands im Ukraine-Krieg sind enorm hoch
Behält Russland aufgrund seiner schier unerschöpflichen Ressourcen die Oberhand in diesem Krieg? Diese Analyse teilen längst nicht alle Experten. Auch der US-Geheimdienst ist vorsichtig. In einem Bericht für den Kongress in Washington wird vorgerechnet, dass Russland bereits 87 Prozent seiner aktiven Bodentruppen, über die es vor Kriegsbeginn verfügte und rund 65 Prozent der anfangs verfügbaren Panzer verloren habe. Ob die ineffektive russische Rüstungsindustrie diese unglaublichen Verluste ausgleichen kann, ist zu bezweifeln.
Wie viele russische Soldaten den Wahn Putins mit dem Leben bezahlt haben oder für immer gezeichnet sind, ist schwer zu ermitteln. Experten gehen von 200.000 bis 350.000 Männern aus. Die Opfer kommen seltener aus den Metropolen Moskau oder Petersburg, sondern überwiegend aus entlegenen Gebieten des riesigen Landes. So wird das Leid der Familien in den politischen Zentren kaum wahrgenommen. „Russlands wichtigste Goldreserve sind die Menschen“, sagt der Zyniker Putin oft und gerne, während er Teile dieser „Goldreserve“ gewissenlos als Zwangsrekruten verheizt.
Der heute 71-Jährige wird ein schwer beschädigtes Land hinterlassen
Wie der Krieg ausgeht, ist ungewiss. Sicher ist, dass der 71-Jährige ein korruptes Land hinterlassen wird, das moralisch am Boden liegt. Ein Land, das aufgrund seiner ökonomischen Rückständigkeit immer tiefer in die Abhängigkeit zu China gerät, in dem die Umweltzerstörung gewaltige Ausmaße erreicht hat und das eine tödliche Bedrohung für seine demokratischen Nachbarländer darstellt.