Was für erbärmliche Szenen in Warschau. PiS-Abgeordnete, die versuchen, Fernsehstationen zu blockieren, um eine „Diktatur von Tusk“ zu verhindern und die „Meinungsfreiheit“ in Polen zu schützen. Ausgerechnet Politiker der abgewählten Partei also, die in den letzten acht Jahren aus öffentlichen Medien willfährige Propaganda-Stationen gemacht hat. Zuvor hatte die neue Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk die Führungsriegen des Fernsehsenders TVP, des Radio PR und der Nachrichtenagentur PAP kurzerhand ausgetauscht.
Der Kampf um die Medien zeigt, dass der politische Neustart in Polen, der nicht nur in Deutschland euphorisch bejubelt wird, einem Drahtseilakt gleicht. Die Kunst wird es sein, dass das ungleiche Bündnis aus Tusks liberaler Bürgerkoalition, dem moderat konservativen Dritten Weg und der Neuen Linken das Land auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit zurückführt, ohne seinerseits pluralistische Grundregeln zu verletzen. Diesem Grundsatz treu zu bleiben, wird äußerst schwierig, weil Staatspräsident Andrzej Duda (PiS) jedes Gesetz blockieren kann. Das präsidiale Veto kann nur mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament abgeräumt werden – ein Quorum, das die neue Dreierkoalition nicht erreichen kann.
Politisch verständlich, juristisch bedenklich
Die Konsequenz, die die Tusk-Regierung daraus zieht, ist politisch verständlich, juristisch allerdings bedenklich. Eigentlich müsste die Redemokratisierung der Medien über ein neues Rundfunkgesetz erfolgen. Doch diesen Weg scheut die Regierung in Erwartung eines Vetos. Ein neues Gesetz soll zwar erarbeitet werden, Fakten wurden aber bereits zuvor in den Hierarchien der Sender geschaffen – in vielleicht eine Spur zu hemdsärmeliger Manier. Nach ähnlichem Muster dürfte der Konflikt um den Aufbau einer Justiz, die rechtsstaatlichen Ansprüchen genügt, verlaufen.
Die Hoffnung der Regierung dürfte sein, dass sich auch Duda auf Dauer dem Druck nicht entziehen kann, dem brennenden Wunsch einer klaren Mehrheit der Polinnen und Polen nach durchgreifenden Veränderungen Raum zu geben.
Gerade in den großen Städten lebt die Sehnsucht nach einem modernen, offenen Land
Gerade Frauen und Männer in den großen Städten hoffen auf die Erfüllung ihres Traums von einem modernen, offenen Land – ihr Lebensgefühl unterscheidet sich diametral von dem nationalkonservativen, fundamentalistisch-katholischen Weltbild des PiS-Chefs Jaroslaw Kaczynski. Das ist nicht neu, aber Tusk gelang es im Wahlkampf, die Lethargie dieser wichtigen Gruppe zu durchbrechen und sie an die Wahlurnen zu treiben. Viele konnten die Hetze der PiS gegen Andersdenkende nicht mehr ertragen.
In vielen ländlichen Regionen, insbesondere im Osten des Landes, sieht es anders aus. Dort verfügt die PiS über ihre Basis, dort haben die Menschen nicht vergessen, dass die noch immer stärkste Partei ihre soziale Lage verbessert hat. Auf dieser Grundlage wird der rachsüchtige Kaczynski versuchen, die starken Gegensätze in der Bevölkerung zu nutzen, um das Land in eine Dauerkrise zu stürzen. Am Ende, so sein Kalkül, das an die Strategie des früheren US-Präsidenten Donald Trump erinnert, gelingt die Rückkehr an die Macht. Tusk immerhin scheint begriffen zu haben, dass er in seiner ersten Amtszeit von 2007 bis 2014 bei seiner liberalen Umgestaltung Polens die soziale Sprengkraft der rasanten Umgestaltung völlig unterschätzt hat.
Ein Scheitern der heterogenen Dreierkoalition wäre fatal. Denn dann wartet keine demokratische Alternative, es warten Demokratieverächter.