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Kommentar: Panik ist Putins mächtigste Waffe

Kommentar

Panik ist Putins mächtigste Waffe

Michael Stifter
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    Nach dem russischen Raketenangriff: ein brennendes Auto in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
    Nach dem russischen Raketenangriff: ein brennendes Auto in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Foto: Roman Hrytsyna, dpa

    An Krieg gewöhnt man sich nicht. Und doch rückt die wahllose Bombardierung, mit der Wladimir Putin die Menschen in der Ukraine terrorisiert, die ganze Skrupellosigkeit des Kreml-Herrschers neu in unser Bewusstsein. Die Erfolge der ukrainischen Armee in den vergangenen Wochen hatten sich wie eine Atempause nach Monaten des Schreckens angefühlt. Doch die russische Rache lässt erahnen, wozu der Despot in seinem Großmachtwahn bereit ist.

    Weil man Putin nicht provozieren wollte, kam es erst zu diesem Krieg

    Und so mehren sich in diesen Tagen also wieder die Mahnungen, man dürfe Russland nicht provozieren, wenn man noch Schlimmeres, noch Wahnsinnigeres, ja den Weltuntergang verhindern will. Diese Angst ist nachvollziehbar, sie darf aber nicht die Politik bestimmen. Im Grunde genommen war es doch die ständige Befürchtung, Putin zu provozieren, die den Weg in diesen Krieg bereitet hat. Als er die Krim völkerrechtswidrig annektierte, als von ihm gesteuerte Kämpfer im Osten der Ukraine ganze Landstriche unter ihre Kontrolle brachten, war man zwar empört und verhängte Sanktionen, ging aber schon bald zum Tagesgeschäft über. Wirtschaftliche Interessen waren wichtiger als Menschenleben. Auch damals wollte man nicht Schlimmeres provozieren – und bestärkte Putin damit erst recht in seiner Überzeugung, der Westen werde sich nicht in den Konflikt einmischen.

    Gerade deshalb ist jetzt nicht die Zeit, die angegriffenen Ukrainer zur Mäßigung aufzurufen oder gar zu sagen, sie sollen sich um des Friedens willen mit Gebietsverlusten abfinden. Denn sie – und ganz Europa – werden keinen Frieden finden, wenn der Kreml-Herrscher mit diesem Krieg durchkommt.

    Die demonstrative Schadenfreude in Kiew über die brennende Krim-Brücke wirkte angesichts des zu erwartenden russischen Gegenschlags und der unkalkulierbaren Folgen deplatziert, ja beinahe verstörend. Sich moralisch darüber zu erheben, verbietet sich trotzdem. Wir können – zum Glück – nicht ansatzweise erahnen, wie sich dieser Krieg für die Menschen in der Ukraine anfühlt, die seit acht Monaten jeden Morgen voller Angst aufwachen.

    Panik ist Putins mächtigste Waffe. An der Front kommt seine Truppe nicht voran, also lässt er Zivilisten im Bombenhagel sterben und droht unverhohlen mit atomaren Waffen. Der Westen muss alles dafür tun, um der Ukraine dabei zu helfen, sich gegen diesen Terror zu verteidigen. Etwa durch die Lieferung von Luftabwehrsystemen.

    Es geht darum, Wladimir Putin zu stoppen, nicht ihn zu demütigen

    Lässt sich die Welt heute erpressen, wird sie für immer erpressbar bleiben. Doch eines ist auch klar: Das Ziel muss es sein, Putin in seinem Wahn zu stoppen, nicht ihn zu demütigen. Selbst ein Sturz des Despoten wäre keine Garantie für Entspannung. Sich dem russischen Überfall mit aller Macht entgegenzustellen, darf deshalb nicht automatisch bedeuten, sämtliche anderen Optionen zu verdammen, die zumindest eine vage Hoffnung bieten, diesen Konflikt zu entschärfen. Man kann sich heute nicht vorstellen, sich mit einem Mann an einen Tisch zu setzen, der im wahrsten Sinne des Wortes keine Grenzen akzeptiert. Gespräche mit Russland per se zu verbieten, wie es der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj getan hat, ist trotzdem fatal.

    Wie anders als in Verhandlungen soll dieser Krieg eines Tages beendet werden? Die Pflicht der freien Welt ist es, dazu beizutragen, dass die Ukraine dann aus einer Position der Stärke heraus in diese Gespräche gehen kann und nicht Moskau die Bedingungen für das Ende des Wahnsinns diktiert.

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