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Kommentar: Olaf Scholz und die Bundesrepublik der Besserwisser

Kommentar

Olaf Scholz und die Bundesrepublik der Besserwisser

Michael Stifter
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    Bundeskanzler Olaf Scholz spricht beim Maschinenbaugipfel.
    Bundeskanzler Olaf Scholz spricht beim Maschinenbaugipfel. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Wenn es stimmt, dass sich am Umgang mit eigenen Fehleinschätzungen das Format eines Menschen zeigt, hat Deutschland ein Problem. Wären sie ehrlich, müssten die meisten Politikerinnen und Politiker, Fachleute, Talkshow-Gäste und sonstige Welterklärer einräumen, dass sie vom russischen Angriff auf die Ukraine und dessen Folgen kalt erwischt wurden. Was wir stattdessen erleben, ist eine seltsame „Ich-hab-es-ja-schon-immer-gewusst“-Republik. Das betrifft nicht nur Ich-AGs wie Sahra Wagenknecht oder andere Polarisierer, die vor allem ihre Bücher verkaufen wollen. Sogar der Bundeskanzler verblüffte in dieser Woche mit einem beeindruckenden Weitblick, den er sich allerdings selbst attestierte.

    Scholz behauptet, er habe immer gewusst, dass Putin Energie als Waffe benutzen würde

    Auf einem Maschinenbau-Gipfel sprach Olaf Scholz darüber, dass Wladimir Putin Energielieferungen als Waffe im Kampf gegen den Westen benutzt und fügte einen bemerkenswerten Satz hinzu: „Ich war mir immer sicher, dass er das tun würde.“ Schon im Dezember, zu einer Zeit, als die „allermeisten das noch nicht für wahrscheinlich gehalten haben“, habe er an all seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Frage weitergegeben, was passiere, wenn Russland kein Gas mehr liefern würde.

    Deutschland könnte sich also glücklich schätzen, angesichts eines Regierungschefs, der schon nach ein paar Tagen im Amt die Lage so gut überblickt hat. Doch die Behauptung des Kanzlers, er habe das alles längst kommen sehen, wirft mehrere Fragen auf.

    Erstens: Warum hat Scholz dann zur selben Zeit in der hitzigen Debatte darüber, ob die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 in Betrieb genommen werden soll noch gemauert und die Position vertreten, es handle sich dabei um ein „privatwirtschaftliches Vorhaben“, das also unabhängig vom Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu bewerten sei? Wo er doch schon wusste, dass Putin die Hand am Abzug, also am Gashahn hatte.

    Warum hat Scholz als Minister und Vizekanzler nur zugeschaut?

    Und zweitens: Wenn er diese drohende Erpressbarkeit durch den Kreml schon früher als alle anderen hat kommen sehen, warum hat er das Land nicht besser darauf vorbereitet? Warum hat er in seiner Zeit als Minister und Vizekanzler zugeschaut, wie sich Deutschland in die Energieabhängigkeit von Russland manövrierte? Warum hat er das Thema im Bundestagswahlkampf ausgespart, als die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock explizit darauf hingewiesen hatte?

    All diese Fragen mit dem Wissen von heute im Nachhinein zu stellen, wäre an sich unfair. Denn Fakt ist doch, dass sich die meisten Menschen einfach nicht vorstellen konnten, zu wie viel Brutalität Putin bereit sein würde. Wenn Scholz nun aber so tut, als habe er all das geahnt, muss er auch diese Fragen beantworten.

    Noch anfälliger für diese „Wir-haben-es-ja-schon-immer-gewusst“-Attitüde ist traditionell die Opposition, denn sie hat ja den entscheidenden Vorteil, reden zu können, ohne handeln zu müssen. Wenn Politiker von CDU und CSU aber heute so tun, als hätte es mit ihnen niemals diese vertrödelte und auf russischem Billiggas aufgebaute Energiewende gegeben, ist das schon dreist.

    Das Verhalten von Union und FDP ist peinlich

    Dass ausgerechnet die Union, die den Atomausstieg beschlossen hat, nun lamentiert, dass er vollzogen wurde, wirkt jedenfalls reichlich kurios. Und nicht weniger peinlich ist es, wenn die FDP, der es immer relativ egal war, woher die Energie kam, solange sie nur schön billig war, nun ausgerechnet die sonst als grüne Spinnerin abgetane Greta Thunberg als Kronzeugin dafür heranzieht, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen.

    Was ist so schwierig daran, zuzugeben, dass man – wie die ganze Welt – Putins Bereitschaft, alles für seine Großmachtfantasien aufs Spiel zu setzen, fatal unterschätzt hat? Das hätte jedenfalls mehr Format, als zu versuchen, anderen die Verantwortung in die Schuhe zu schieben. Die Regierenden – und jene, die eine konstruktive Oppositionsarbeit versprochen haben – sollten endlich erkennen, dass gute Politik nicht bedeutet, Probleme zu erkennen, sondern Antworten darauf zu finden.

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